Melodramatische Wandlung
Wenn eine Band, der man ohnehin schon einen Hang zur Emotionalität nachsagt, sich vorgenommen hat, alle Erwartungen zu übertreffen, dann darf man sich wohl nicht wundern, wenn das volle Register des Melodrams gezogen wird.
Bereits mit „Three Cheers For Sweet Revenge“ haben My Chemical Romance die eine oder andere stark emotionale Note angeschlagen, doch mit ihren neuen Album „The Black Parade“ steigern sich die fünf Herren aus New Jersey in einen grandiosen Pathos, der einer Seifenoper im Stile von „Denver Clan“ locker den Rang abläuft. Sie haben ein Konzeptalbum geschrieben, in dem es um den Tod eines jungen Mannes geht und das ihn auf seiner Reise durch Erinnerungen, Ängste und Sehnsüchte begleitet. „Das Album beginnt mit zwei Songs, die nahtlos ineinander übergehen. Das ist der Moment, in dem man das Geräusch einer Flatline hört. Und an genau diesem Punkt befindet man sich in einer Transzendenz zwischen Leben und Tod. Aus dieser Perspektive kann man dann die anderen Songs des Albums hören und etwas über den Tod erkennen,“ verrät Gerard Way bei seinem Besuch in Berlin. Irgendwo zwischen Leben und Tod bewegt sich das Album dann durch Kindheitserinnerungen, Träume und Ängste des Patienten, wie Gerard den Protagonisten nennt. Und dieses Konzept, das My Chemical Romance hier zu einem Album verwoben haben, erinnert nicht umsonst an Pink Floyds „The Wall“ oder David Bowies „Ziggy Stardust“, denn My Chemical Romance ging es genau darum: „Diese Alben haben uns stark beeinflusst, weil sie einen Grad an Innovation repräsentieren, der zum damaligen Zeitpunkt die Musik bestimmt hat. Wir wollten sie aber nicht einfach nachäffen, sondern ihre Größe einfangen, das Drama, das sie auf die Musikbühnen gebracht haben. ‚The Black Parade‘ sollte die Zugänglichkeit und den Eklektizismus von Queens ‚A Night At The Opera‘ mit der starken Themenführung von ‚The Wall‘ verbinden“, sagt Gerard und eröffnet damit das Spektrum der Einflüsse.
Denn gerade musikalisch weicht „The Black Parade“ stark von der Erwartung ab, die man beim Verweis auf den Prog-Rock der Siebziger haben könnte. Und es erfüllt auch nicht die Kategorie Post-Hardcore oder Emo, der man dank „Three Cheers“ wohl immer noch zugeordnet werden würde. Im Gegenteil, das Album ist ein erhobener Mittelfinger in Richtung der Schubladendenker. „Wir wollten nicht Teil der ständigen Wiederholung werden, die sich im Musikbusiness breit gemacht hat, und wieder die selben Ideen ausbrüten. Deswegen diese Form der Erneuerung,“ verweist Gerard auf das Alter Ego, das die Band angenommen hat. Denn mit der Veröffentlichung des Album sind My Chemical Romance zur namensgebenden schwarzen Parade geworden. Die neue Band ist die „Verkörperung des Konzeptes“, wie Gerard es nennt, nicht jedoch „ein nettes Marketing-Gimmick. Damit muss man vorsichtig sein. Es ging nicht darum etwas zu kalkulieren und jetzt als Black Parade Interviews zu geben. Das würde einfach albern und aufgesetzt wirken.“ Auf jeden Fall sind The Black Parade eine sehr theatralische Erfindung und auf ihrem „Debüt“ findet sich dann auch das schon angekündigte Melodrama wieder. Gerard lacht: „Ja Mann, das ist melodramatisch im besten Sinne, total ‚over the top‘, wie im Theater! Ich liebe es, wenn die so machen und ‚ooooh‘ sagen. Das ist Drama, total großartig.“ Dabei führt er den Handrücken an den Kopf und scheint wie eine Südstaaten-Lady in Ohnmacht zu fallen. Seifenoper eben.
Der Artikel ist erschienen im Piranha Magazin Ausgabe 11/06.