Gameshop mit Herz und Seele
Frank Schleede betreibt seit mehr als 16 Jahren seinen Gameshop 2nd Reality in Hamburg und kann auf dem Großstadtmarkt nur bestehen, weil er seinen Kunden deutlich mehr bietet als die Kollegen aus den großen Elektrofachmärkten. Dabei, so sagt er, wird die Luft in der Branche aber immer dünner.
IGM: Kannst du als Einzelhändler für Videospiele überhaupt noch überleben?
Frank Schleede: Naja, als reiner Gameshop nicht wirklich gut. In Hamburg gibt es nur noch Game Castle und mich, mehr sind nicht mehr übrig. Also als richtige Gameshops, die anderen sind Mischgeschichten oder kleinere Läden, die nebenbei noch Games verkaufen, dann aber nur um das schnelle Geld zu verdienen, weil sie wissen, dass da eine Abzocke möglich ist. Aber richtig so mit Herz und Seele Spiele verkaufen, das ist glaube ich eng.
IGM: Es werden doch jede Menge Spiele umgesetzt. Warum ist das so eng?
Frank Schleede: Für einen Einzelhändler, der fast nur Neuware anbietet, ist es nahezu unmöglich zu überleben, ohne eine andere Sparte noch mit anzubieten. Ob das nun An- und Verkauf ist, ob das die Durchsicht der Konsolen ist. Ich könnte als Gameshop nur mit dem Verkauf von Spielen nicht leben. Die Industrie, vermute ich, will auch genau das erreichen. Die kleinen Geschäfte werden gesteuert kaputt gemacht. Warum auch immer. Kann ich nicht genau sagen.
IGM: Woran machst du das fest? Wie steuert die Branche das?
Frank Schleede: Es gibt für mich beispielsweise keine Möglichkeit direkt mit den Games-Firmen zusammen zu arbeiten, weil die Stückzahlen, für diese Firmen zu gering sind. Da ist der Arbeitsaufwand zu hoch. Was bringen mir die großen Firmen denn auch? Von den Spannen, von den Margen bringen die mir gar nichts. Selbst wenn ich direkt kaufe, habe ich von den Prozentpunkten für mich auch nicht mehr dabei raus. Es gibt aber auch noch andere Faktoren. Das ist ja auch eine Frage des Vorlaufes von Spielen. Wenn ich einen Toptitel bekomme, haben Firmen wie MediaMarkt oder wie GameStop einen gewissen Vorlauf. D.h. die Industrie schickt Spiele sehr früh raus und bietet diesen Firmen die Möglichkeit die Ware in den Filialen vorab zu verteilen. Nur leider ist MediaMarkt das Releasedatum meist egal und die stellen die Spiele dann früher raus. GameStop ist da besser, die machen das meist termingerecht. Aber damit ich eben die Ware rechtzeitig hab, bin ich froh wenn der Großhändler sie mir auch zwei Tage vorher schickt. Bei großen Firmen direkt würde ich gar keinen Vorlauf bekommen, und der ist für mich entscheidend.
IGM: Das ist ja aber nur technisches Prozedere. Steckt da auch noch was anderes hinter?
Frank Schleede: Keine Ahnung, vielleicht ist es die Tatsache, dass bei den Großen der Branche kleine Läden einen extrem negativen Touch haben. Spezialisten für Games sind ja meist auch die Läden, die Geräte-Umbauten oder Modifikationen machen. Oder aber die kleinen Läden halten sich nicht an Release-Embargos. Das sind die Rebellen, die das Spiel dann eben vorher schon verkaufen. Was die allerdings dabei vergessen, ist die Tatsache, dass wir das machen müssen, weil wir unsere Ware sonst nicht abverkaufen können. MediaMarkt zieht mit einem Kampfpreis los, den wir nicht halten können. Ohne den Verkauf durch den Vorlauf von zwei, drei Tagen kann ich das Spiel am Release-Tag gar nicht mehr verkaufen. Jedenfalls nicht in einer so großen Stadt. Sitzt du auf dem Land, hast du ein anderes Einzugsgebiet und wohlmöglich keine MediaMärkte, dann ist das sicher eine andere Nummer. Aber hier in Hamburg haben die Menschen die Möglichkeit nach alternativen Preisen zu schauen. Und dann gehen sie auch dahin und kaufen den Kampfpreis. Das Online-Geschäft wird als Konkurrenz auch immer wichtiger. Die können natürlich andere Preise anbieten, selbst bessere als die großen Märkte. Die haben ein anderes Potential, seitens der Werbepreise, des Kontingentes. Dagegen ist es schon schwer für einen kleinen Laden. Ich meine ja bloß, dass ich vom reinen Verkauf der Spiele nicht überleben könnte. Dann wäre ich weg, und das schon seit Jahren.
IGM: Und wodurch hebst du dich dann ab?
Frank Schleede: Ich biete einen Service, der so bei den anderen Läden nicht angeboten wird. Bei den Ketten ist das Mangelware und sas ist für mich ein Segen. Das sehen selbst deren Mitarbeiter so. Es arbeiten genügend Verkäufer dort, die mein Geschäft kennen und die mir Kunden schicken, wenn sie ihnen offiziell nicht mehr weiterhelfen können. Weil ihnen ja die Hände sonst gebunden sind. Wenn die einen Kunden haben, der seine Konsole gereinigt haben möchte, dann macht MediaMarkt das nicht. Der Verkäufer muss den Kunden dann beschwichtigen: „Das können wir hier nicht, da weiß ich nicht weiter.“ Meist wird dem Kunden geraten das an den Hersteller zu schicken. Nur der reinigt die Konsole auch nicht, sondern bietet einen kostenpflichtigen Austausch für „defekte“ Teile an. Da liegen die Kosten schnell mal bei 150 Euro. Wenn ich die nur mal kurz durchreinige, dann kostet das 15 Euro. Und da das die Mitarbeiter der Ketten auch wissen, sagen die ihren Kunden unter der Hand, wo sie hingehen müssen. Dieser Service fängt bei mir eine Menge auf. An- und Verkauf von Spielen glücklicherweise auch noch, da ist ja gerade ein Urteil durch gegangen, das bestätigt hat, dass der Verkauf von gebrauchten Spielen weiterhin legal ist.
IGM: Welche Spiele sind denn bei dir am gefragtesten?
Frank Schleede: Meistens sind das bei mir die Titel die nicht überall in den Ketten rumstehen. Dead Island verkaufe ich zum Beispiel sehr gut. Ein wichtiger Faktor ist, dass die Games bei mir ungeschnitten sind. Wenn also Titel in den großen Märkten nur geschnitten erhältlich sind, oder in Deutschland gar nicht zum Verkauf stehen, wie etwa Inversion, dann kann ich davon ganz gut leben. Zuletzt war Max Payne ein großes Highlight, weil die deutsche Version für den Handel geschnitten wurde. In dem Moment war es für mich auch nicht dramatisch, dass MediaMarkt einen Preis von 49 Euro rausgehauen hat. Weil die Leute wussten, dass da was fehlt, kamen sie hierher. Da habe ich sehr gute Stückzahlen verkauft. Die großen Ketten stellen sich diese Titel nicht hin, dürfen sie nicht offen zeigen. Und bei indizierten Titel gilt das sowieso. Für mich sind die Killerspiel-Diskussionen also auf eine gewisse Weise sogar positiv, da die Leute durch die Presse auf die Spiele aufmerksam werden und mich dann danach fragen.
IGM: Ist das nicht ein Problem für dich – als Händler von Killerspielen?
Frank Schleede: Es stimmt schon, dass ein paar Sachen nicht sein müssen. Es gibt Spiele, die sollten so nicht programmiert werden. Manhunt zum Beispiel fand ich geschmacklos und das habe ich damals auch nicht beworben und es auch nicht weiter empfohlen. Das muss einfach nicht sein. Hitman oder Splinter Cell – also das gespielte Schleichen und Morden hingegen, finde ich in Ordnung. Wo die Gewaltdarstellung nicht so drastisch ist, da habe ich nicht so das Problem. Ich lasse mich da von der Story leiten. Was steckt dahinter? Was will der Charakter? Negativ empfinde ich die krasse Darstellung von Gewalt und die Verherrlichung. Das will ich nicht haben. Bei God of War 3 kannst du am Ende Zeus eine ziemlich lange Zeit das Gesicht blutig prügeln. Das hätte nicht sein müssen, das empfinde ich als bitteren Beigeschmack. God of War 3 ist an sich schon ein sehr brutales Spiel. Bei der Grafikpracht ja sehr eindrücklich vermittelt. Selbst im Spiel hätte man die Gewalt anders darstellen können. Aber das Ende musste der Programmierer nicht reinbringen, das ist komplett daneben. Um aber auf die Frage nach meinen bestlaufenden Titeln zurück zu kommen. Was soll ich sagen? Die Weichei-Titel stehen hier ja nur rum. Davon verkaufe ich einfach nichts. Abgesehen von ein paar großen Sporttiteln, lebe ich eigentlich ausschließlich von Action- und Rollenspielen. Das ist mal eine ganz klare Aussage.
IGM: Und wie schaut es mit deinen Kunden aus – wer kommt und kauft?
Frank Schleede: Meine Kunden sind nicht die typischen MediaMarkt-Kunden, die anonym durch die Reihen wandern. Ich habe Leute hier, die auf mich zugehen, die wissen was sie wollen. Meistens sind das nicht die „Niedlich-Spieler“, sondern Hardcore-Zocker. Ich habe einerseits ein sehr junges Publikum. Aber gerade die Stammkundschaft von früher spielt immer noch, nur dass die eben nicht mit den Online-Spielen klarkommen. Man muss ja bedenken, dass ich das hier bald schon seit 17 Jahren mache. Unter meinen Stammkunden sind also auch Leute dabei, die jetzt Mitte oder Ende Vierzig sind und die sagen sich dann: „Ok, ich brauche online gar nicht erst spielen. Da verliere ich ja nur.“ Genau wie ich sind die Oldschool-Gamer. Ich bin mit der Atari VCS 2600 großgeworden und kann heutzutage mit den Glitsches und Cracks, und ich weiß nicht, mit Frag-FX Controllern einfach nichts anfangen. Die älteren Spieler kommen damit nicht zurecht. Das junge Klientel um die 20 hingegen, die sind heiß darauf und die wollen das auch.
IGM: Das heißt, du hast eine starke Bindung zu deinen Kunden?
Frank Schleede: Die Leute wissen, dass ich ehrlich bin. Wenn die mich nach einem Game fragen, dann kann ich denen schon sagen, wie das Spiel ist. Ich sage dann auch: „Pass auf, lass das mal liegen, das passt nicht zu dir.“ Ich versuche auf jeden Kunden einzugehen, und persönliche Beratung ist bei einem so kleinen Laden natürlich das A&O, was den Verkauf von Spielen angeht. Das hier ist ein Mikrokosmos. Wir nutzen beispielsweise die Option Facebook und haben eine 2nd Reality Gruppe eingerichtet. Da sind knapp 400 Leute drin und die tauschen sich aus, treffen sich zu Online-Games und beraten sich. Das hier ist nicht einfach nur ein Geschäft, sondern die Menschen fühlen sich mit dem Laden zusammengehörig. Die meisten sind mir persönlich bekannt, und ich weiß, wer da als Mensch hinter steckt.
IGM: War das auch der Gedanke, der hinter 2nd Reality stand? Eine Anlaufstation für echte Gamer zu bieten?
Frank Schleede: Ganz so philosophisch war es nicht. Damals habe ich in Wandsbek gewohnt, war Konsolenzocker. Ich bin wegen eines Importtitels zu zwei Geschäften nacheinander gegangen und wollte ein Spiel kaufen, damals für 159,- Mark, also echt teuer. Das stand bei dem ersten im Regal. Ich wollte es gerne mal ausprobieren, weil es ja so teuer war. Da war dann der Besitzer, der gesagt hat, das ginge gerade nicht, er spiele Turok. Entweder ich würde es kaufen oder ich könnte wieder hinstellen. Er hat mich noch nicht mal angekuckt dabei. Beim nächsten Händler stand es in der Vitrine, da durfte ich das Spiel noch nicht mal anfassen. Als ich dann auch noch gefragt habe, ob ich es mal antesten dürfte, da hat mich die Bedienung angeschaut und meinte, ich dürfe nur spielen, was in der Test-Konsole drin sei, sonst nichts. Und da ist die Idee des Ladens geboren worden, mir ging es um Kundenfreundlichkeit, um Service und ums Wohlfühlen. Die Läden damals waren bis unter die Decke mit Bananenkisten zugestapelt, in denen jede Menge Games lagerten. Das sah ganz furchtbar aus. Ich wollte, dass es gemütlich ist.
IGM: Abschließend bleibt also noch die Frage, wie du deine Zukunft siehst? Wie geht es weiter?
Frank Schleede: Generell arbeitet die Branche darauf hin, dass die Spiele, wie sie hier stehen, nicht mehr lange existieren. Die Hersteller bevorzugen ja deutlich das Online-Geschäft. Das bedeutet, du klickst und lädst dir das Spiel runter ohne jemals etwas physisch in der Hand gehabt zu haben. Und das bedeutet, tippe ich mal, dass der Spielehandel irgendwann in den nächsten zehn Jahren erledigt ist. Effektiv läuft meine Daseinsberechtigung also in fünf bis zehn Jahren aus. Ich gehe noch in der Hoffnung voran, dass die nächste Generation Konsolen noch Datenträger bieten wird. Denn Online-Spiele sind ein großer Knackpunkt. Die meisten Leute wollen die Überwachung nicht. Die wollen nicht online irgendwas einlösen, oder dass ein Spiel überprüft, was sie gerade online machen. Online ist für viele meiner Kunden ein echtes Gräuel. Das ist nicht der Weg, den die Konsole als Spieleplattform gehen sollte – sonst könnte man sich ja gleich einen PC kaufen. Aber der Trend ist, dass die Konsole immer mehr zum Multimediagerät wird und alles können muss. Das ist generell der falsche Trend. Da gehört auch zu, dass die Entwickler nur noch halbfertige Spiele rausbringen, weil sie ja damit rechnen, dass es gepatcht werden kann. So viel Ärgernisse: Spiele die einfach schlecht gemacht sind. Das wird immer schlimmer, aber damit tut sich die Industrie keinen Gefallen, dass sie alles zulässt und schlechte Produkte rausbringt.
IGM: Und was machst du, wenn es soweit ist?
Frank Schleede: Dann mache ich einen Laden für Retro-Gaming. Heute gibt es ja schon 30 Jahre Konsolengeschichte, die ja auch bedient werden wollen. Ob das Leute sind, die Probleme mit ihren alten Geräten haben, oder ob sie einen Anlaufpunkt suchen, wo sie Games für alte Konsolen wie das NES oder das Sega MegaDrive bekommen. Ich habe die jetzt schon im Programm aber eben nur auf Nachfrage. Aber warum sollte nicht aus Vergangenem eine Zukunft entstehen…
Ursprünglich erschienen im IGM 11/2012.