Buch-Tipp: Nnedi Okorafor – Binti

Eigentlich besteht der aktuelle Roman von Nnedi Okorafor aus drei separat veröffentlichten Novellen, die aktuell nur noch als Ebooks erhältlich sind und nun im aktuellen Herbstprogramm noch einmal gesammelt in Buchform erscheinen. In den Erzählungen zeichnet Okorafor die Entwicklung der namensgebenden jungen Frau Binti nach, die als Angehörige der Himba-Minderheit in einem von Khousch besiedelten Afrika lebt und von einer Ausbildung an der intergalaktischen Universität von Oomza träumt. Als sie einen Studienplatz erhält, macht sie sich – gegen den Willen ihrer Familie und als erste Himba überhaupt – auf den Weg nach Oomza. Dabei gerät sie mitten in einen immer noch schwelenden interplanetaren Konflikt zwischen Khoush und den Medusen, einer als besonders kriegerisch und blutrünstig verschrienen Spezies. Auf dem Weg nach Oomza wird das Schiff von den Medusen angegriffen und alle Khoush an Bord getötet. Doch die Begegnung mit Binti verläuft unerwartet: Binti hat eine alte Himba-Technologie, die es ihr erlaubt mit den Medusen zu kommunizieren und ihre traditionelle Erdschicht, die ihren ganzen Körper bedeckt und sie unter den Khoush als „anders“ stigmatisiert wird hier zu ihrem Vorteil. Die Medusen entdecken, dass das Otijze heilende Wirkung hat. Binti überlebt den Angriff nicht nur, sie schließt Freundschaft mit einem der Medusen und wird später sogar genetisch zum ersten Interspezies-Hybriden verändert. Binti wird zum Botschafter eines möglichen Friedens zwischen Menschen und Medusen.

In Binti bricht Okorafor mit dem Motiv des ersten Kontakts als stereotyper Science-Fiction-Trope gleich in mehrerlei Hinsicht. Zum einen hinterfragt Okorafor die in der SF weit verbreitete Idee, dass ein Planet sich durch eine Ethnie vertreten lässt und zeigt so auf, wie dominante Kulturen das Bild der Welt prägen. Im Gegensatz zu den technologisch fortgeschrittenen, aggressiv nach ihrem Vorteil suchenden und das Weltall besiedelnden Khoush sind die Himba eine besonders traditionsbewusste und mit der Natur, vor allem der Wüste, verbundene Kultur, die stark durch Mythen und Ahnenglauben geprägt ist. Eine solche Kultur sucht eben nicht nach neuem Lebensraum, sie erforscht nicht das Unbekannte und gerät so eben auch nicht in Konflikte. Und doch, so zeigt sich an Binti, kann es in einer sonst relativ homogen wirkenden Gruppe Einzelne geben, die sich gegen die Traditionen stellen. Die Idee, vielschichtiger und variabel agierender Individuen innerhalb einer Gruppe widerspricht vehement der simplen Sicht etwa der typischen Space Opera, in der ein Planet eine dominante Spezies hat, die in Konflikten uniforme Ziele verfolgt.

Darüber hinaus trifft Binti in den Medusen auf Aliens, die ebenso vielschichtig und variabel sind. Okorafor urteilt über keine der handelnden Gruppen pauschal, sondern zeigt auch bei den Medusen, wie komplex deren Kultur ist. Die Vorurteile und Gerüchte über das brutale kriegerische Verhalten der Spezies werden in der Begegnung mit Binti, deren eigener Verwandlung und deren Freundschaft zu Okwu, einem Medusen und Studenten der Oomza Universität, wirksam unterlaufen. Okwu zeigt uns, dass die Medusen-Gesellschaft Konflikte durch Stärke und Kampf löst und dass ehrvolles Handeln von oberster Bedeutung ist. Im Gegensatz zu den Klingonen in frühen Darstellungen bei Star Trek, verkommen die Medusen jedoch keineswegs zu einseitigen Klischees, sondern werden als komplexe und fremdartige Wesen gezeigt. Okwu begleitet Binti in der zweiten Erzählung nach Hause und ist erstaunt über die Konflikte, die Binti dort zu lösen hat, er ist aber auch fasziniert von den traditionellen Himba und deren Beziehungen untereinander.

Denn, und das ist vielleicht die wichtigste Subversion des Erster-Kontakt-Motivs, die Himba sind bereits eine fremdartige Kultur in den Reihen der Khoush. Die rote Erdpaste Otijze, die für Himba eine sakrale Verbindung mit der Heimat und ein Schutz vor Umwelteinflüssen zugleich ist, gilt den Khoush als fremd und schmutzig. In den Augen der Medusen jedoch wird Otijze zur heilenden Kraft. So wird deutlich, dass Binti teils mehr mit Okwu verbindet als mit den Menschen um sie herum. Als Binti in Begleitung des Medusen auf die Erde zurückkehrt, da muss sie vor allem die Ablehnung und die Vorurteile der Khoush überwinden. Doch auch ihre eigene Kultur sieht das Verhalten, das Weggehen aus der Heimat, die Verbindung mit und die genetische Veränderung durch die Medusen als einen Affront gegen die Traditionen und Ahnen der Himba. In den vielschichtigen Beziehungen der einzelnen Gruppen zueinander – Khoush, Himba, Medusen – zeigt der Roman auf, wie komplex und verworren unser Miteinander sein kann, wie kulturelle Unterschiede im Weg stehen, wenn wir doch eigentlich Integration und Kommunikation erreichen wollen. Und so dreht sich Bintidann nicht nur um den ersten Kontakt, sondern tiefgehender noch um die widersprüchlichen Impulse von Tradition und Wandel, von konservativem Festhalten an Identität und der Offenheit für Neues. Binti zeigt, mit den Mitteln der Science Fiction, welche Kräfte nötig sind, um alte Konflikte zu überwinden und sich neuen Chancen für die Zukunft zu öffnen.

Ursprünglich erschienen im SJ Jahr 2018, Golkonda Verlag