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Ein psychedelischer Metal-Trip

Die existenzielle Krise in der Mitte des Lebens sieht für die meisten Menschen anders aus, aber für einen erfolgreichen Metal-Musiker kann sie schon mal eine Menge halluzinogener Drogen bedeuten. Das Ergebnis kann man dann wenigstens als Album vermarkten…

„So ist das halt, wenn man Vierzig wird, dann erforscht man sich selbst. Und man fragt sich, was das alles bedeutet. Dass der Tod ja jederzeit auf einen lauert. Dass man voller Angst und Sorgen über die Zukunft ist“, sagt M. Shadows und erklärt, dass er sich ausgelöst durch diese Sinnkrise alles reingezogen hat, was zu bekommen war: Bücher, Filme, Gespräche, und eben auch ein paar Drogen. Die Trips, die „deep dives“ wie er sagt, und die Introspektion haben bei ihm die Erkenntnis produziert, dass es keinen größeren Sinn gibt. Er stolperte über die Existenzialisten und war vor allem von Albert Camus begeistert: „Albert wusste, dass alles auf den freien Willen hinausläuft und darauf die Sinnlosigkeit als Freiheit zu handeln zu deuten.“ Auf „Life is but a dream…“ setzt Shadows dieses Mantra in Musik. Das Ergebnis ist erstaunlich: eine dichtgepackte und unglaublich vielseitige Metal-Oper, ein Konzeptalbum mit Zeppelin-artiger Struktur, das auf so ungewöhnliche musikalische Inspirationen zurückgreift, dass es Puristen vor den Kopf stoßen wird. Auf dem Album begegnem einem funky Licks, Vocoder-Vocals, Cabaret-Nummern, spoken Voicovers, aber auch Doppelbass-Drums, Screams und Thrash-Riffs. Alles vermischt mit verstörenden Lyrics, die alles Sinnstiftende und jedes Ordnungsprinzip in Frage stellen. „Es ist nicht einfach wie bei Zeppelin. Nein, wir wollten diese Idee des Konzeptalbums und der großen Rockbühne neu interpretieren, sie mit allen Mitteln moderner Technologie erfassen und ins Jetzt ziehen. Wir haben völlig frei experimentiert.“

Das sich aufbauende und methodische „Cosmic“ etwa, in dem Shadows die Wiedergeburt und das Auffangen kosmischer Energien beschreibt. „Es war wie der absolute Tod des Egos, keinerlei Selbst mehr präsent. Ich war Gott. Nichts. Alles. Und dann kehrst du nach dem Trip zurück in deine Schutzhülle, versammelst dich wieder und erkennst wie klein und unwichtig das alles ist. Wie wenig Bedeutung da drin steckt.“ Oder die finale Trilogie aus Songs „G“ „O“ und „D“ in denen Shadows eine Karrikatur des Theismus zeichnet. „Es geht um diese witzige Idee, dass der Erschaffer es vielleicht richtig Scheiße findet und total ‚bummed out‘ darüber ist, dass seine Superfans ihn so missverstehen. Er gibt auf, drückt auf den ‚alles löschen‘ Knopf und fängt neu an, mit künstlicher Intelligenz.“ Halluzigene Drogen könnten definitiv dabei helfen, hier mitzukommen. Es ist ein Bruch, thematisch wie musikalisch, mit dem was Avenged Sevenfold zuvor gemacht haben. Es ist ein Album mit der unbändigen Kreativität eines „Night at the Opera“ das in seiner Gänze die sich ins psychedelische steigernde Extase auslebt. Dabei ist es aber leicht verdaulich verpackt, nur wenige Songs des Album gehen über die 5-Minuten-Marke hinaus. „Wir sind alle in so einer ADHS-Mentalität unterwegs. Keiner hat mehr so viel Zeit sich das anzuhören. Es mag sein, dass es eine Rock-Oper ist, aber wir haben sie aufgeteilt. In kleine Happen, in Momente, die man sich vergönnen kann. Und so werden wir das auch live umsetzen. Stück für Stück.“ Es bleibt spannend, wie sehr der Drogentrip sich auch auf das Publikum überträgt. Vielleicht verteilen sie ja Pilze vor der Show.

Avenged Sevenfold – „Life is but a dream …“

Ursprünglich erschienen in Classic Rock 06/2023