Aufwachen! Nachwuchs gesucht…
Dem aufmerksamen Leser wird nicht entgangen sein, dass IGM in den letzten Ausgaben einen kritischen Blick auf die Ausbildung junger Nachwuchskräfte der Gamesbranche geworfen hat und dabei so einige kleine, zierliche Pflänzlein der Innovation in Sachen Studium und Jungdesigner-Förderung entdeckte. Doch, so fragte sich die Redaktion, hat das in der Branche eigentlich auch schon jemand bemerkt?
Wenn man sich nämlich mal genauer mit den in der IGM 06/2012 vorgestellten Studiengängen und deren Curricula auseinandersetzt, dann fällt schnell auf, dass gerade die großen Firmen, die Global Player, sich recht wenig in den lokalen Markt der Nachwuchsförderung einmischen. Da dozieren zwar Designer und Producer kleinerer Developer und auch der eine oder andere Mittelstandsbetrieb lässt sich für einen Gastvortrag oder eine Seminardozentur dort blicken, die Big Names sucht man hier jedoch vergeblich. Aber warum denn nur? Müssten doch auch und gerade die großen Publisher immer wieder händeringend nach neuen Jungstars in Sachen Game Development suchen.
„Das stimmt ja auch“, erklärt Klaus Jens, Managing Director der deutschen Dependance des japanischen Konzerns Square Enix, „für unser Studio in Kopenhagen suchen wir ständig neue Leute. Aber wir betreiben hier in Hamburg beispielsweise kein Studio und können also Entwicklern nur begrenzt eine Jobmöglichkeit bieten. Dabei haben wir gerade unseren ersten Absolventen mit einem Games-Abschluss der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) eingestellt.“ Dessen Abschluss im Bereich Game Studies war ein Pluspunkt, aber keinesfalls das einzige Kriterium, wie Jens erläutert: „Unsere Arbeit hier in Deutschland liegt hauptsächlich im Bereich Marketing, PR und Produktmanagement, nicht so sehr in Producing und Development. Daher brauchen wir Kandidaten, die eine ausgewogene Ausbildung haben. Aber wir stellen tatsächlich lieber jemanden ein, der games-affin ist und noch keine Marketingerfahrung hat, als anders herum. Es ist im Tagesgeschäft einfacher, Mitarbeiter in Sachen Marketing zu schulen, als bei ihnen ein Interesse an und Verständnis für Games zu kultivieren.“
Dass die an der HAW und vergleichbaren Institutionen ausgebildeten Games-Master nicht unbedingt genug Erfahrung in Sachen Marketing und Geschäftsführung mitbringen ist anderen Firmen im Gegensatz zu Square Enix eher ein Dorn im Auge. Anfragen zu dem Thema sowohl bei Sony, Microsoft und Warner wurden von den Entertainment-Giganten sofort abgelehnt, mal mehr, mal weniger deutlich. Die Absagen waren aber durchaus auf einer inhaltlichen Linie: die deutschen Marketingabteilungen brauchen eher neue Leute mit einem BWL-Skillset als gerade eine Game Studies-Ausbildung. Die Kooperation mit den Universitäten oder auch die Beobachtung der Absolventen zwecks Rekrutierung steht hier auf niedriger Stufe. Dabei wären doch gerade in diesen Studiengängen Scharen an motivierten und potentiell sehr innovativen neuen Mitarbeitern zu holen, würde man sich nur frühzeitig genug in deren Ausbildung einmischen.
„Wir sind in diesen Fragen eigentlich gar nicht der richtige Ansprechpartner“, gibt auch Jens in Bezug auf die Nachwuchsförderung zu und erklärt damit die zögerliche Haltung der deutschen Firmen. „Wir sind in der Entscheidung unserer Ressourcen, ebenso wie in Vertragsangelegenheiten mit Entwicklern im Endeffekt an Japan gebunden. Neue Studios können wir zwar empfehlen, aber die eigentliche Arbeit der Talentsuche und Rekrutierung fällt nicht in unseren Aufgabenbereich.“ Jens ist dabei hoch anzurechnen, dass er zu einem kritischen Interview bereit war. Und auch in Sachen Verbesserung der Lage möchte er beitragen: „Ich würde sehr gerne aushelfen und mich an der Ausbildung beteiligen. Hier wird sich in Zukunft was ändern. Und wir werden auch bei eventuellen neue Positionen die HAW-Absolventen im Auge behalten.“
Ein solcher Schritt ist lohnenswert, wie auch Daedalic Entertainment CEO Carsten Fichtelmann zu berichten weiß, der bereits seit Beginn des HAW-Masterstudienganges als Dozent daran beteiligt ist. „Ich bin vor drei Jahren angesprochen worden und habe spontan zugesagt. Ich habe dann zwei Kurse vorbereitet. Einmal ging es um das Thema Unternehmensgründung und -führung in der Gamesbranche, das andere Mal mehr um Business Development und Producing. Ich habe mich entschieden mitzumachen, weil in einer so schnelllebigen Branche der Kontakt zur Wirtschaft unglaublich sinnvoll ist. Neue Impulse aus der Wirtschaft können hier direkt in die Lehre einfließen und die Studierenden beflügeln.“ Auch andere Mitarbeiter von Daedalic waren schon an der HAW tätig, haben dort zum Beispiel Design oder Dramaturgie unterrichtet.
Der Vorteil für Firmen wie Daedalic liegt dabei auf der Hand: zum einen kann man den Studierenden Praktika anbieten und sich so hochmotivierte Mitarbeiter sichern, zum anderen kann man aktiv an der Ausbildung des Nachwuches mitgestalten. „Wir können als Unternehmen zu den Studierenden persönliche Kontakte knüpfen. Und gleichzeitig haben wir die Möglichkeit, das Potenzial des Nachwuchses gezielt zu beurteilen“, so Fichtelmann. „Der Games-MA trägt einen entscheidenden Beitrag zur Förderung junger Mitarbeiter für die Branche bei. Das Konzept, eng mit den Unternehmen zusammenzuarbeiten und die Studierenden während des Studiums an einem eigenen Projekt arbeiten zu lassen, das öffentlich gepitch wird, sind hervorragende Voraussetzungen für zukünftige Mitarbeiter.“
Studiengänge im Bereich Game Studies bieten aber nicht nur neue und zukünftige Mitarbeiter und sind nach rein ökonomischen Gesichtspunkten ausgerichtet. Vielmehr fungieren sie als Sandkasten für Experimente, die keine Firma wagen würde, weil das kommerzielle Ergebnis wohlmöglich nicht stimmt. So bestünde aber auch an Universitäten die Möglichkeit den Ruf der Branche nachhaltig zu ändern und durch wissenschaftlich hochwertige Arbeiten für eine Anerkennung als Kulturform zu sorgen. „Die Reaktion auf Games ist gerade in der Politik und den kulturellen Medien im Gegensatz zu weiten Teilen der Gesellschaft noch immer von konservativen Reflexen bestimmt“, meint Klaus Jens. Hier könnte eine wissenschaftliche Auseinandersetzung helfen, die aber aktuell einfach nicht zu realisieren ist: „Wiederum kann ich nur auf Japan verweisen – Forschungsarbeiten können wir aus unseren lokalen Mitteln nicht finanzieren, so leid es mir tut.“
Und auch Carsten Fichtelmann sieht hier in den Studiengängen eher einen praktischen, technischen Nutzen: „Die Games-Forschung ist genau dann sinnvoll, wenn aus ihr Prototypen oder neuartige Konzepte hervorgehen, die für zukünftige Projekte verwendet werden können. Forschung ist dann interessant, wenn sie parallel zur Pre-Produktion läuft. Sie hilft den Studenten, Prozesse und Hintergründe besser zu verstehen, ist aber im Bereich der Game Studies häufig sehr schnell veraltet. Wichtiger ist hier die Mitarbeit an eigenen Projekten: Selbst wenn diese keine kommerziellen Erfolge erreichen, so sind die Erfahrungen, die Studierende in dieser Zeit sammeln können, für Unternehmen sehr viel Wert.“ Der kulturelle Wert von Forschung muss auch hier einem wirtschaftlichen Nutzen weichen.
So bleibt also beim Resummé eine mulmiges Gefühl, denn ohne Nachwuchs mit einem weitreichenden Horizont, ohne neue Ideengeber für die deutsche Developerszene, aber auch ohne Vermittler zu anderen Bereichen unserer Gesellschaft wie Politik und Kulturmedien, wird es die Branche in Zukunft nicht leicht haben. Kleinere Firmen, vor allem Studios und lokale Arbeitgeber wie Daedalic haben durch eine Nähe zu den Ausbildungsbereichen gute Chancen der Branche zu einer blühenden Zukunft zu verhelfen. Doch die internationalen Größen des Sektors verschlafen gerade aufgrund ihrer globalen Strukturen und ach so sehr auf Shareholder-Value ausgerichteten Marketing-Orientierung ein riesiges Potenzial. Es wird also Zeit, dass die Branche aufwacht und endlich erkennt, was Nachwuchsförderung und ernsthafte Forschung für Games als Medium und Kulturform zu leisten vermögen. Die Zukunft hat begonnen.
Ursprünglich erschienen in IGM 09/2012.