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Speicherpunkt Lübeck – Interview zur Gamesbranche

Seit gerade einmal einem Jahr betreibt Stefan Runkel seinen kleinen Games Shop Speicherpunkt in Lübeck. Mitten im Bermudadreieck dreier großer Fachmärkte und gegen die Konkurrenz im Internet behauptet er sich wacker. An einem verregneten Samstagmorgen zum Verkaufsstart von „Resident Evil 6“ hat IGM sich mit ihm getroffen. Doch zuerst muss er noch die neuen Titel begutachten.

Stefan Runkel: So ein Mist, die deutsche Version ist geschnitten.

IGM: Ja, und? Ist das schlimm für dich?

SR: Naja, das ist halt doof. Hätte ich nicht so viele von gebraucht. Die deutsche Version ist teurer als die PEGI-Version, kann ich aber nicht so gut verkaufen. Dann müssten wir die deutsche, obwohl sie teurer im Einkauf ist, billiger verkaufen. Ich hätte mehr von der PEGI ordern sollen. Denn, wenn es schief geht mit der georderten Anzahl, dann geht es eben schief. Kommission gibt es nicht. Wenn ich sie nicht verkaufe, dann habe ich Pech. Aber bei „Resident Evil 6“ ist das alles noch recht harmlos. Da ist eine große Nachfrage vorhanden, das macht es einfacher. Das geht aber nicht mit jedem Horror-Titel, nur „Resident Evil“ ist unglaublich angesagt und verkauft sich wie geschnitten Brot. „Silent Hill“ hingegen geht gar nicht. Ist das bessere Spiel, verkauft sich aber nicht und was sich nicht verkauft, ist tot.

Aber warte mal kurz, ich muss eben noch mal schnell den Eintrag fertig machen. Ich bin jetzt ganz vorsichtig und schreibe nicht „uncut“ rein. Ich habe einen Web-Shop, da schauen die Leute rein, was wir haben. Wenn ich jetzt „RE6“ reinstelle, dann klingelt razz-fazz das Telefon. Vorher muss ich natürlich noch mal nachschauen, was macht der Konkurrent Amazon. Meine Kunden vergleichen ja immer mit Amazon. Dabei ist denen nicht klar, dass Amazon den Preis manchmal stündlich rauf oder runter nimmt. Ok, Amazon nimmt 57,95 plus 5 Euro Versand… dann nehmen wir mal 59,95 Euro.

IGM: Ist denn der Online-Handel deine einzige Konkurrenz, oder musst du dich hier in der Gegend auch gegen die großen Ketten behaupten?

SR: Ich bin genau in der Mitte zwischen den beiden großen Ketten. Direkt an der Autobahn ist MediaMarkt und in Richtung Innenstadt im Einkaufszentrum ist ein Saturn. Und dann ist da auch noch mein ehemaliger Arbeitgeber: das Pressezentrum, direkt in der Innenstadt. Da war ich zwölf Jahre lang angestellt und habe als Einkaufsleiter und Abteilungsleiter gearbeitet. Aber irgendwann hat dem Besitzer das Geschäft mit den Games nicht genug abgeworfen. Da haben sie die Spieleabteilung aufgelöst, weil sie angeblich bei Neuheiten zu wenig Gewinn gemacht haben. Die hatten eine Gewinnspanne von 10% aufs Jahr gesehen also bei einer Million sind Hunderttausend hängen geblieben, abzüglich meines Gehalts wäre da durchaus noch was übrig gewesen. Aber: was sie dann langfristig nicht bedacht haben, war, dass Spiele ein großer Magnet sind. Im Pressezentrum waren die Spiele aber ganz oben, dass heißt, die Leute mussten hoch und wieder runter. Und wenn sie oben nichts gefunden haben, haben sie vielleicht auf dem Weg irgendetwas anderes gefunden: Bücher, CDs oder irgendwas. Und genau das fehlt jetzt alles, dadurch haben die fast ein weiteres Drittel an Umsatz verloren, nicht nur die Spiele. Weg. Und jetzt knapsen sie.

IGM: Also ist die Idee den Speicherpunkt aufzumachen daraus entstanden, dass das Pressezentrum die Abteilung dicht gemacht hat?

SR: Naja, ich bin halt seit mehr als 20 Jahren in der Branche und habe viel Erfahrung. Das ist für MediaMarkt und Co. ein Problem, weil ich zu viel koste, wenn die mich einstellen. Das wollen die sich lieber nicht leisten. Außerdem habe ich so meine Probleme mit den Strukturen da. Als das Pressezentrum dann die Abteilung geschlossen hat, habe ich gedacht: „Was soll ich jetzt machen? Arbeitslos sein, putzen gehen…?“ Aber ich kenn ja alle in der Branche, habe schon die Kontakte. Also habe ich mich dazu entschieden, wieder ganz klein anzufangen und den Laden aufzumachen. Einfach mal schauen, was passiert.

IGM: Und wie schwierig war es? Wie lief das erste Jahr?

SR: Das größte Problem ist, das Geld zu bekommen, das man benötigt, um den Laden zu eröffnen. Die Investitionsbank unterstützen Spiele als Konzept gar nicht. Mit dem Businessplan in der Hand gehst du dahin und sobald du „Spiele“ erwähnst, lehnen die sofort ab. Die Begründung ist, dass es online ja billiger ist. Total beknackt, aber ich musste meine Eltern bitten. Die haben für mich und den Laden gebürgt. Es läuft aber gut, die Anfangsschwierigkeiten haben sich soweit gelegt. Am Anfang war es echt schwer, aber heute habe ich am Tag so zwischen 30 und 35 Kunden im Laden. Dazu kommt wie gesagt das Online-Geschäft, so dass ich die ruhigen Zeiten am Tag mit der Pflege der Website verbringe. Das Geschäft dort ist so groß, dass sehr viel Pflege rein muss. Ich verschicke überall hin und habe einen Amazon-Shop. Gerade die gebrauchten Artikel laufen dort gut. Und mittlerweile habe ich hier im Laden auch viel zu tun, gerade nach dem Mittag, wenn die Schulen beendet sind. Wir haben ja überall drum herum Schulen, von Grundschule bis Gymnasium, sechs Stück im Einzugsbereich. Deswegen habe ich den ganzen Yu-Gi-Oh! Kram hier und die Skylanders da drüben. Ist ja nicht ohne Grund gemacht. Mittlerweile kommen die dann hier auch vorbei und sehen das natürlich.

IGM: Und wie steht es nun aktuell mit der Konkurrenz? Wie überlebst du hier?

SR: Da gibt es mehrere Punkte. Zum einen versuche ich günstiger als MediaMarkt und Saturn zu sein. Das beschneidet zwar meine Marge, aber ich verkaufe lieber fünf Spiele so als nur zwei oder drei auf Vollmarge zu verkaufen. Dann habe ich noch den Vorteil, dass ich die Spiele teilweise vor den großen Läden habe. Letztes Jahr hatte ich hier schon eine Beschwerde von Saturn, die bei Warner angerufen haben, dass ich „Batman“ eine Woche vorher rausgestellt hatte. Den großen Ketten bin ich mit dem kleinen Laden offensichtlich schon aufgefallen und die bekommen langsam Angst. Ich bin denen auf den Schlips getreten. Bei „Call of Duty“ hatte ich letztes Jahr eine Schlange von hundert Metern vor der Tür, weil ich den Titel vor den Märkten hatte. Das liegt daran, dass die Märkte in der Gegend früher bei den Vertrieben unangenehm aufgefallen sind und weil ich aufgrund meiner früheren Tätigkeit immer noch sehr gute Beziehungen zu den Vertrieben habe. Das hilft natürlich sehr, wenn ich Titel dann rechtzeitig bekomme.

Hinzu kommt, dass ich PEGI-Versionen anbiete, die über einen Importeur kommen. Da kaufen eigentlich alle guten deutschen Games-Händler. So kann ich eben auch ein Spiel wie „Sleeping Dogs“ anbieten, dass beim MediaMarkt nicht erhältlich ist. Oder eben die „Resident Evil“-Version, die dann ganz sicher ungeschnitten ist.

Das Telefon klingelt und ein Kunde möchte ganz dringend Auskunft über die Vorrätigkeit eines Spiels haben. „Ja, ist da. Leg ich dir zurück“, sagt Stefan Runkel und legt auf. „Das war ein Kunde, der auf meiner Freundesliste auf Xbox Live gesehen hat, dass ich „Resident Evil 6″ spiele. Habe ich absichtlich gleich dort eingelegt, damit die Leute das mitbekommen. Sorry, wo waren wir…?“

IGM: Du hattest vorhin kurz gebrauchte Spiele erwähnt …

SR: Ja, das ist der letzte Punkt, der mich von den großen Märkten unterscheidet. Bei mir kannst du die Spiele zurückbringen oder in Zahlung geben. Das ist ein wichtiger Faktor. Am Anfang war angedacht 20% des Umsatzes mit gebrauchten Spielen zu machen, aber mittlerweile bin ich mehr so bei 50% angekommen. Die Türme hier hinten muss ich alle noch abarbeiten. Überleg mal: Neuware erlaubt mir ’ne Marge von knapp zehn bis maximal dreizehn Euro pro Spiel. Gebraucht sieht das ganz anders aus. Teilweise werden Titel da für einen Euro angekauft und für dreißig verkauft. Das ist dann natürlich endlich mal lukrativ. Kommt aber sehr auf den Markt an. Die Wii ist aktuell zum Beispiel nicht besonders lukrativ – die liegt aktuell bei 35 Euro im Ankauf, weil alle noch das alte Gerät loswerden wollen, bevor sie auf die Wii U umsteigen. Aber dadurch kann ich sie halt auch nicht verkaufen.

Ein Junge von etwa zehn oder zwölf Jahren kommt rein, ein Baseball-Cap umgedreht auf dem Kopf, die Hände in den Hosentaschen. Er fragt nach dem aktuellen Preis von „FIFA 13“ und behauptet dann mit recht dreister Attitüde, das Spiel sei bei einem Spielzeugladen um die Ecke billiger. Stefan Runkel wirkt ein wenig irritiert, kann nicht ganz verbergen, dass der Rotzlöffel ihn gerade nervt.

SR: „Ja, das ist mir klar. Dann geh gerne hin und besorg dir das Spiel. Das kostet dann nur 44 Euro, nicht wie bei mir 59 Euro. Aber: Dann kannst du eigentlich gleich noch mal so eine Zusatzkarte kaufen, denn die 44 Euro Version hat keinen Online-Pass drin und den müsstest du für das Spiel und den Großteil der Funktionen extra kaufen. Nur so sind die in der Lage das Spiel für 44 Euro zu verkaufen. Es fehlt der Online-Pass. Der EA Sports Season Pass kostet aber 30 Euro.

Der coole Vorpubertäre lässt sich davon nicht irritieren und erwidert eiskalt, er brauche die Internetversion nicht, schließlich habe er ’ne „geflashte“ Xbox. Damit gehe er nicht ins Netz.

SR: Ja, das will ich dir auch geraten haben. Das Ding zu besitzen ist schön doof. Da kannst du dir ganz leicht die Staatsanwaltschaft ins Haus holen. Die geflashte Xbox ist illegal und es kann dir bei jedem Update von Microsoft passieren, dass sie dir die Konsole sperren. Dann kannst du dir ne neue kaufen. Aber mal ganz ehrlich – warum willst du „FIFA 13“ offline spielen? Dann hast du doch das Spiel nicht verstanden. Wo ist denn dann der Unterschied zu 12? Du brauchst das neue Spiel nur, wenn du es online spielen willst, da liegen die ganzen neuen Features.

Der Dialog geht noch einige Minuten weiter, in denen man sich fragen muss, warum der Bengel überhaupt im Laden ist, wenn er doch gar kein Interesse hat, das Spiel zu erwerben.

IGM: Haben deine Kunden, insbesondere die minderjährigen, immer so eine Attitüde? Der eben schien ja zu glauben, er wüsste genau, wo es langgeht…

SR: Da ist schon was dran. In der Regel sieht das so aus. Die Tür geht auf und herein kommt ein Vater mit seinem Kind. Schon brüllt der Lütte los. „Guck mal Papi, die haben schon das neue „Gears of War“!“ Und das Kind ist dann gerade mal zehn. Und was sagt Papi? „Komm lass mal kaufen, das spielen wir zusammen. Aber nichts der Mama sagen.“ So läuft das ab. Unglaublich. Da schlackert man mit den Ohren. Wenn du online „Call of of Duty“ spielst, dann hörst du ja sowieso bis 22 Uhr nur das Kindergekicher über dein Headset. Früher fing das mit zwölf oder vierzehn an, nur jetzt geht das teilweise mit acht oder neun los. Die Infos bekommen die vom Schulhof. Gerade auf den Gesamtschulen, da sind Groß und Klein zusammen und wenn die sich unterhalten, dann wollen die Kleinen mitreden können. Möchten erwachsen sein. Deswegen müssen sie die Spiele auch mitspielen wollen. Auf der Freundesliste bei Xbox Live wird eine Art Gemeinschaft gebildet. In der Schule sind die Kids ganz schüchtern und verschlossen, aber kaum sind sie auf Xbox Live, geht das ab und sie posen, fluchen und werden richtig kess. Dann können sie reden. Auf dem Schulhof geht da nicht viel, aber über das Headset geben sie Gas. Da mischt sich Selbstbewusstsein mit Showeffekt.

IGM: Das klingt, als hättest du dich voll und ganz auf die junge Klientel eingelassen…

SR: Nein, nicht ganz. Ich habe hier zum Beispiel extra keine Konsolen zum Anspielen aufgebaut, weil das zu nervig ist. Ich kenne das aus dem Pressezentrum. Dort sind die Kiddies um 9.30 Uhr morgens angekommen und haben sich vor den Konsolen installiert. Dann hat man im Laufe des Tages das Ordnungsamt angerufen und Bescheid gesagt. Die nehmen die Kids mit nach Hause. Und während das Amt noch mit den Eltern spricht und sie darüber aufklärt, was ihre Kinder den ganzen Tag tun, sind die schon längst wieder im Laden und spielen weiter. Ich habe hier zwar eine Konsole zum Vorführen für Stammkunden, aber ich habe keine generellen Spielekonsolen zum freien Testen. Das ist zu anstrengend. Ich mache zwar 40% meines Gesamtumsatzes mit Kinderprodukten, aber ein großer Teil davon ist Yu-Gi-Oh! Ich hatte ursprünglich mal vor, das hier gemütlich zu machen. Mit ’ner Couch und Spielekonsolen, aber ich habe mich dann echt dagegen entschieden, weil man die Kids einfach nicht mehr los wird. Die fühlen sich dann zu sehr zu Hause und das bringt ja nichts. Und bei sechs Schulen drum herum wäre das grausam. Die anderen Kunden, die älteren, stehen hier aber gerne und diskutieren. Da werden heiße Gefechte ausgetragen zwischen „Battlefield“ und „Call of Duty“ – da knallt das schon mal und man muss die Hitzköpfe aus dem Laden schmeißen.

IGM: Diese Art von Spiel scheint ja ein Highlight für dich zu sein, oder?

SR: Ja, sind wir ehrlich. Alle Jahre wieder macht „Call of Duty“ meinen Weihnachtsumsatz. „FIFA“ läutet das Weihnachtsgeschäft ein. Die habe ich diese Jahr alle durchverkauft. Ich hatte 50 Xbox und 30 PS3-Versionen gekauft. Hätten aber auch deutlich mehr sein können. „Resident Evil 6“ sind jetzt ähnlich viele. Schließlich hat sich das Franchise auch in die stromlinienförmig Action-Richtung bewegt. Ich persönlich fand „Code Veronica“ den besten Teil, aber selbst ein so schrottiges Spiel wie „Operation Raccoon City“ hat sich wie blöde verkauft. Da hat Capcom ja sogar gesagt, sie wollten mehr wie „Call of Duty“ sein. Vom neuesten Teil von „Call of Duty“ werde ich bestimmt wieder 180 Xbox und knapp 80 PS3-Spiele verkaufen. Letztes Jahr haben wir zu viert den Tresen bedient und den Laden leer geräumt, so viele Leute haben das kaufen wollen.

Und plötzlich stehen mehrere junge Männer im Laden, fragen nach „Resident Evil 6“ und der ungeschnittenen Version. Auch der Hinweis auf den erhöhten Preis scheint hier nicht abzuschrecken, ungeschnitten muss das Spiel sein. „Habe ich es doch gesagt“, meint Stefan Runkel bevor er sich voll und ganz dem Ansturm des Tages widmet. „Die sind jetzt aufgestanden und wollen alle „RE6″ haben. Sorry, ich muss arbeiten.“

Kein Problem, dann mal guten Erfolg auch für die Zukunft.

Ursprünglich erschienen im IGM 14/2012