Das Spiel der Schatten

Die Düsternis in Finnland ist aus musikalischer Sicht zum Klischee verkommen und wird gerne herangezogen, um zu erklären warum Bands aus dem hohen Norden klingen, wie sie klingen. Und Callisto sind nun mal Finnen …

Tatsächlich aber beschäftigen sich die fünf Männer von Callisto eben mit genau diesen Stimmungen. Ihr zweites Album heiflt „Noir“ und ist ein düsteres Meisterwerk, stimmungsvoll, atmosphärisch und voller Moll-Töne. Das Klischee wäre damit also voll erfüllt, wie auch Arto Karvonen, der Keyboarder der Band, zu bestätigen weiß: „Klar, irgendwie ist es ein Teil von uns Finnen, diese Dunkelheit über Monate hinweg beeinflusst dich nun einmal. Klischee hin oder her, es stimmt. Selbst die Tanzmusik alter Leute ist so. In jedem anderen Land klingt diese Musik fröhlich und ausgelassen, nur bei uns sind die Songs in Moll geschrieben und irgendwie dunkler gefärbt. Selbst finnischer Tango klingt so. Es ist nichts bewusstes, aber es beeinflusst uns alle.“

„Noir“ ist geprägt von dieser Stimmung, bezieht seinen Ursprung aus dem cineastischen Begriff „Film Noir“ und setzt die für dieses Genre prägenden Elemente aus pessimistischer Stimmung, gebrochenem Erzählfluss und dem Spiel aus Hell und Dunkel in Metal-Sound um. Nicht brachial und nach vorne preschend, sondern bewusst aufgebrochen, teils zurückhaltend und mit viel Raum für Atmosphäre. Eine deutliche Weiterentwicklung zum ersten noch sehr chaotisch und treibend wirkenden Album. „Auf diesem Album haben wir uns mehr nach Innen gewandt und die hervorbrechenden Gitarrenwände reduziert. Es ist subtiler geworden und differenzierter, “ erklärt Arto die Entwicklung. Eine Subtilität, die es der Band erlaubt, wie in den Filmen der 40er und 50er Jahre, auf „Noir“ immer wieder die ausweglosen Situationen von Menschen durchscheinen zu lassen.

Callisto machen auch textlich einen Riesenschritt und erzählen poetische Kurzgeschichten. Sie schreiten weg vom politischen Manifest, dem sie mit dem Debut „True Nature Unfold“ Nahe kommen wollten, hin zum ästhetischen Minimalismus. In kurzen Passagen malt Markus Myllykangas Gesang Bilder von Menschen, lässt sie dann aber im Spiel aus hellen und dunklen Melodien gleich wieder verschwinden. Es bleiben die Schatten und das Gefühl, die Figuren wären gefangen. Arto vergleicht die Texte mit Gedichten, die das Leben für einen kurzen Moment einfangen: „Die Songs beschreiben eine Stimmung, dunkel und verregnet. Die Menschen in ihnen sind dem Leben ausgeliefert, können nicht wählen, wohin sie gehen oder was sie tun.“ Ihre Geschichten bleiben jedoch nur kurze Momente in den Songs, die zu großen Teilen durch ihre Instrumentalität bewegen.

Die acht Stücke bieten viel Raum zum Hören und Interpretieren, es gibt große Flächen, in denen man sich verlieren kann. Callisto haben das Chaos ihres ersten Albums gebändigt, Struktur in ihrer Musik und die Melancholie in ihrer finnischen Realität entdeckt. „Noir“ verkörpert diese Entdeckung und Arto selbst hat durch seinen Eintritt in die Band dazu beigetragen, sie zu vertonen. Er hat sich mit seinen Keyboard-Flächen einen Raum erspielt, der vorher nicht zu erkennen war: „Ja stimmt, es gibt jetzt mehr Spielraum für stimmungsvolle Parts, mehr Freiheit, um zu experimentieren und die atmosphärischen Elemente zu erhöhen.“ Und auch wir Nicht-Finnen wissen das musikalische Schattenspiel in dunkler Stimmung zu schätzen, ist die Melancholie doch auch bei uns verbreitet.

Der Artikel ist erschienen im Piranha Magazin Ausgabe 03/07.