Roadmovie ohne Bilder
Langsam gleitet das Licht hinüber in eine angenehme Dunkelheit. Der Vorhang fährt in sanfter Bewegung zur Seite und die silbrig-weiße Wand wird von einem Lichtstrahl erfasst. Angespannte Stille macht sich im Saal breit und die Vorführung kann beginnen. Super Black heißt das Kunstwerk, und Northern Lite beweisen sich als Regisseure ohne Film.
Der Nicht-Film beginnt in schwarz. Eine Straße bei Nacht, in schneller Abfolge fliegen die weißen Fahrbahnbegrenzungen an einem vorbei. Die einzige Beleuchtung sind die Kegel der Scheinwerfer, wie die Augen eines Raubtieres auf der Suche nach Beute. In unregelmäßigen Abständen kreuzen sich die Wege einzelner Raubtiere, sonst ist da nichts. Nichts als die Schwärze der Straße und die Schwärze der Nacht. Irgendwo auf dem Weg von einer Stadt in die nächste. Dies ist die Stunde von Super Black, dem neuen Album der Erfurter Band Northern Lite. Das Album ist Ausdruck einer Entwicklung im Leben so manches Musikers, doch nur die wenigsten thematisieren diese Zeit. Es ist die Phase nach der ersten Euphorie, nach dem Erfolg, nach dem High der Bühne. Es ist die Ernüchterung, die sich dann breit macht. Es ist die Bilanzierung, ein Testen des Status Quo nach 10 Jahren im Geschäft. Rationales Hinterfragen einer von Erwartungen und Hoffnungen geprägten Vergangenheit und der klare, einsichtige Blick auf die gegenwärtige Situation. Und schließlich die Realisation, dass die Musik dem Menschen auch etwas abfordert. „Na ja, da ist so ein Punkt auf Tour, ab da kannst du dir Gesichter nicht mehr merken. Du triffst vielleicht einen Menschen, und der ist auch interessant, und mit dem unterhältst du dich. Aber beim nächsten Mal weißt du einfach nicht mehr, wer das ist. Zwei Wochen später, weißt du gar nicht mehr, in welchem Laden du warst, wenn dich nicht einer darauf hinweist. Das ist irgendwie so ein abgestumpftes Gefühl. So als ob man nur noch rumgereicht würde. Man kann nur noch reagieren,“ erklärt Sänger Andreas Kuhn das Gefühl, das sich hinter Super Black verbirgt.
Der Film im Kopf läuft weiter. Auf der Straße, die sie nachts entlang fahren ist kein greifbares Merkmal zu erkennen. Der Asphalt ist endlos und die Markierungen sind in ihrer Redundanz nutzlos. Eine klare Orientierung ist nicht möglich. Keyboarder Sebastian Bohn erklärt die Ausweglosigkeit, während der Tour die Welt kennen zu lernen: „Du weißt, wie der Flughafen aussieht. Und wie die Taxis in den unterschiedlichen Städten aussehen. Du kennst die Hotels. Jedes Zimmer, die Empfangshallen. Du warst überall und kennst doch nichts.“ Und Kuhn ergänzt: „Das ist das typische, was ein Musiker erlebt, der viel auf Tour ist. Du wirst gefragt: ‚Mann, wo warst du denn überall?’ und kannst nur antworten: ‚Ich war in Madrid, in Tokio. Ich war überall, ich war dort, ich war dort …’ Auf die Frage, was man denn dort alles gesehen hätte gibt es nur die Antwort: ’Die Nacht. Ich habe im Taxi gesessen und die Stadt ist an mir vorbei geflogen. Morgens saß ich wieder im Flieger.’“
Ein Leben im Durchgang, Lost in Translation, oder vielmehr Lost in Transition. Zwischen den einzelnen Gigs und der Anreise bleibt nicht viel Zeit, sich mit dem Drumherum zu beschäftigen und genau dieses Gefühl transportieren Northern Lite mit „Super Black“. Das Album ist ruhig, reflektiert, besticht gerade weil es nicht mit Effekten überladen ist. Der Tourzirkus spiegelt sich nicht in einer Abfolge von ekstatischen Aftershow-Parties, nicht im Sex, Drugs and Rock’n’Roll des Klischees, sondern in der Introspektive. Wenn das Außen bedingt durch die ständige Bewegung verschwimmt, dann wird das Innen zum zentralen Anker. Der Mensch ist auf sich selbst zurückgeworfen. „Ja, das sind Phasen, in denen man reflektiert. Auf einmal wird der Zusammenhang klar. Du betrachtest das Privatleben ganz anders und auch wenn das jetzt pathetisch klingt, dir wird bewusst, dass du für dein Leben einen Preis bezahlen musst. ‚Super Black’ drückt für mich diese Position aus, auf der Innenseite einer alles absorbierenden Seifenblase. Man steckt da drin und nichts dringt an einen heran, alles dreht sich nur um einen selbst, in der Seifenblase.“ Aus der Isolation der Seifenblase gelingt es Kuhn und seinen Bandkollegen den Blick auf das Selbst zu werfen und diesen gezielt zu verarbeiten – erfahren und musikalisch ernst zu nehmen.
Entgegen der Wahrnehmung von außen, sind Northern Lite nämlich keineswegs Newcomer, auch wenn Super Black nach Unisex erst ihr zweites Album beim Major Universal ist. Die Band schaut bereits auf 10 Jahre Erfahrung zurück und sieht sich selbst nicht mehr in der Phase des steten Tourens, um eine Fanbase aufzubauen. „Mit der Ochsentour der frühen Tage hat das nichts mehr zu tun. Wir müssen nicht mehr wochenlang im verrosteten Van von Club zu Club tingeln. Dieses Stadium haben wir glücklicherweise hinter uns,“ sagt Drummer Ringo Fire. Und Kuhn erklärt, wie sich der Touralltag in der aktuellen Bandphase darstellt: „Wir touren am Wochenende, nicht an einem Stück. Wir sind also nicht drei Wochen lang im Nightliner unterwegs. Das zahlt sich auf Dauer nicht aus. Aber unser Weg hat natürlich auch Nachteile. Man ist ständig in zwei unterschiedlichen Tagesrhythmen und braucht im Übergang viel Zeit, das schlaucht total und gibt jede Menge Augenringe. Und da wir das seit 5 oder 6 Jahren so machen, gibt es auch keine Pause davon. Jedes Wochenende unterwegs, um ein Konzert oder eine Clubshow zu spielen.“ Dabei hat sich durch die musikalische Ausrichtung der Band schon so einiges geändert am Tour-Horizont. Die Band entstand zuerst als reiner Techno-Act und wie es für elektronische Knöpfchendreher so üblich war, spielten Northern Lite damals noch im Hauptprogramm nachts um 3 vor einigen Hundert Clubjüngern. Diese Zeiten sind vorbei, seit Kuhn zum Mikrofon griff und die elektronischen Beats und Flächen um ein paar Popmelodien erweiterte. Als dann 2001 auch noch die Gitarre Einzug bei Northern Lite fand, war die Wandlung zur Band komplett, was sich auch in den Sets und Auftritten widerspiegelte.
Auf Super Black vermischen die Jungs gekonnt die unterschiedlichen Einflüsse und Nuancen ihrer musikalischen Prägungen. Da sind kräftige, elektronische, und vor allem tanzbare Beats, die von der Vergangenheit als Techno-Act zeugen. Da sind aber auch Gitarren, mal vor Einsamkeit heulend, am Nervengerüst zerrend, mal druckvoll den Song vorantreibend. Immer aber schleicht sich durch Kuhn’s Gesang eine populäre Note ein, gerne mit Anleihen im melancholischen Stil des 80er Wave. Zum Dunkel und der Einsamkeit auf Tour passt diese Note vortrefflich und auch bei ihren Fans berühren Northern Lite damit einen Nerv: „Wir hatten nie geplant in der dunklen Szene zu landen. Das ist nicht unser Ursprung, aber unsere Musik kommt halt gut an bei den Leuten. Wir haben als Underground-Act mal auf dem Wave Gotik Treffen in Leipzig gespielt und die waren Feuer und Flamme. Und in dieser Szene geht das mit der Kommunikation rasend schnell. Wir haben das Konzert gespielt und schlagartig kannten uns alle und waren begeistert. Unsere Fanbase ist dadurch besonders gut in der Szene ausgeprägt.“ Die dunkle Note ist jedenfalls unverkennbar. Das schwarze Outfit steht ihnen, und auch inhaltlich liegen die Erfurter in Einklang mit den Erwartungen ihrer Fans. Schließlich ist die seelische Nabelschau des Musikers ein beliebtes Thema in der schwarzen Szene.
Und auch wenn Super Black eigentlich für Kuhn ein schickes Roadmovie darstellen soll, so gleitet das Album nicht in oberflächliche Darstellung von Action und Klischee, wie wir ja schon festgestellt haben. Kein tarantinoesques Frühwerk mit Actioneinlagen und übersteigerter Aggression. „Wir wollten mit dem Album einen Film bauen. Und es musste definitiv ein Roadmovie werden, mit schönen Frauen und Gewalt. Aber weniger schräg als bei Tarantino, dafür etwas abgestumpfter und sinnloser,“ witzelt Kuhn und trifft aber doch eine Wahrheit. Wie in Jim Jarmusch’ Film Broken Flowers zeigt auch Super Black seine für die Welt der It-Bands doch schon alternden Helden auf der Sinnsuche. Northern Lite hetzen keinem Stil nach, sie müssen sich nicht mehr beweisen, dafür haben sie ihr eigenes Leben zu gut erkannt. Keine Illusionen vom Dasein als Rockstar. Dafür die Erkenntnis, dass jede Art des Musikerlebens seinen Preis hat. Und so wundert es nicht, dass auf Super Black die persönlichsten Songs ihrer Karriere zu finden sind. Wie etwa der Opener „I’m A Liar“ der schon an sich in poetischer Wahrheit eine ganz private Sicht bietet. Der Song ist nicht etwa ein medialer Disclaimer, der dem Album vorangestellt wird, sondern in seiner Offenheit das Eingeständnis einer persönlichen Erfahrung: „Der Song ist so ehrlich, dass es schon ein bisschen weh tut. Ich bin mal von einer Ex-Freundin Lügner genannt worden, und da war ich sehr sauer. Das fand ich schlimmer als Arschloch. Das ging mir sehr nahe und dann habe ich den Song geschrieben – ok, dann bin ich halt ein Lügner.“ Selbsterkenntnis, die zur Offenbarung wird. Die alles absorbierende Seifenblase als Spiegel der eigenen Fehlbarkeit. Wer nur noch sich selber sieht, der muss auch seine eigenen Fehler erkennen. Northern Lite offenbaren nicht das Jetset-Leben, sondern die Lücken, die fehlenden Anknüpfungen, die ein solches Leben mit sich bringt. „Du denkst auf einmal anders über das Leben nach. Das da ein Preis für das Leben als Musiker ist, ist uns allen klar. Und wir sind bereit ihn zu zahlen.“
Doch zum Glück sind wir nicht im Film, brauchen uns nicht darüber streiten ob Jarmusch seinem Helden ein befriedigenderes Ende hätte geben sollen. Denn „Super Black“ ist ein Album, das zweite Majoralbum einer Band, die noch viel vor hat. Und somit stellt der Film, der sich vor unseren Augen abspielt, wenn wir das Album hören, nicht die letzte Fassung dar. Er kann sich verändern, immer wieder. Neue Bilder können der Musik hinzugefügt werden und die Band kann mit jedem neuen Gig, mit jeder neuen Erfahrung, eine neue Ebene zu ihrere eigenen Geschichte addieren. Eine Geschichte, die nach eigenen Aussage gerade erst Aufwind bekommen hat. Überlassen wir also Kuhn das letzte Wort: „Ich bin Musiker, was anderes kann ich eh nicht machen. Ich meine, uns gibt es jetzt 10 Jahre. Und wir haben das auch schon gemacht, obwohl wir nicht dick bekannt waren oder viel Geld damit verdient hätten. Wenn das dann jetzt dazukommt, dann ist das natürlich supergeil. Das gibt uns wahrscheinlich wieder Schub für noch 10 Jahre.“
Ursprünglich erschienen als Titelstory im Piranha 04/2008.