„Manga-Boom auch im Games-Bereich?“

In der Buchbranche gilt der Bereich japanischer Comics, also Manga, auch im Jahr 2014 noch als Boom-Segment. Eigene Hallen auf den Messen, größtes Wachstum innerhalb der Branche und seit Jahren stetig steigende Zahlen an Veröffentlichungen. Selbst der konservative Buchhandel scheint die japanische Kultur als Trendthema zu begreifen. Und im Bereich Film und TV haben Anime, wie das bewegte Pendant zum Manga heißt, längst ein Riesenpublikum erreicht: Dragonball Z und Pokémon sei dank. Ob dieser Trend wohl auch in der Games-Branche Einzug hält?

Die einfache Antwort: Ja! Mit Franchises wie Dragonball Z und Pokémon konnte auch die Games-Branche in den letzten Jahren Erfolge verzeichnen und einen Wachstumsmarkt erkennen. Warum braucht es dann einen Artikel wie diesen? Weil die einfache Antwort einen zentralen Aspekt der Manga-Kultur ignoriert: Manga ist nicht nur für Kinder da. Anstatt sich, wie die großen Franchises an die unter 14-jährigen zu richten, sprechen etwa die Rollenspiele von Nippon Ichi Software (NIS) durchweg ein eher erwachsenes Publikum an. Und diese finden in Deutschland aktuell noch in einem kleinen Nischenmarkt statt, wie Michael Hermanns, Marketingleiter von Flashpoint bemerkt, die in Deutschland die NIS Spiele vertreiben: „Wir haben für die Produkte von NIS, je nach Stärke der Serie, eine Verkaufszahl die irgendwo zwischen vier und sechs Tausend Stück liegt, mehr als 80% davon sogar im Vollpreis. Wir sehen in diesem Markt eine sehr beständige Käuferzahl und vor allem einen Trend nach oben, denn die Zahlen insgesamt steigen an.“

Wichtig ist dabei zu sehen, dass diese Käuferzahlen nicht maßgeblich von der USK-Bewertung abhängen und bei vergleichbaren Reihen eine USK-6 Wertung die selbe Menge abverkauft, wie etwa ein USK-16 Titel. Das treue Nischenpublikum ist dementsprechend nicht minderjährig. „Wir gehen davon aus, dass die meisten unserer Kunden zwischen zwanzig und vierzig Jahre alt sind und ein relativ stetiges Einkommen zur Verfügung haben“, so Hermanns. Die meisten NIS-Titel sind klassische japanische Rollenspiele, diese sind aber keineswegs allesamt kindgerecht. So hat zwar die erfolgreichste Serie Disgaea wegen der Manga-Zeichnungen und der milden Gewaltdarstellung eine niedrige USK-Bewertung zwischen 6 und 12, doch die komplexe Handlung, der dunkle, zynische Humor und das auf lange Dialoge setzende Spielsystem sind für Kinder meist überfordernd. Ganz zu Schweigen von der düsteren Handlung um eine Höllendimension und machthungrige Dämonen. Und auch das in Deutschland meistverkaufte NIS-Produkt Bleach: Soul Resurrección ist trotz der USK-12 Bewertung inhaltlich und spieltechnisch näher an Devil May Cry als an Dragonball Z. Da aber die Gewalt durch den Zeichentrick-Stil abgemildert ist, liegt die USK-Bewertung bei kindlichen 12. Doch die deutsche Wahrnehmung trügt, wie auch Yoko Nishikawa meint. Die Lokalisationsmanagerin der US-Niederlassung NIS America sieht ihre Produkte nicht als kindgerecht: „In Japan sind Manga und Anime ein Markt für alle Altersklassen, aber die meisten NIS Spiele sind schon eher auf ein erwachsenes und reifes Publikum ausgerichtet. Inhaltlich ist das nicht unbedingt für Kinder gedacht.“

Ein weiterer Faktor für die Einsortierung in die Nische und somit den nur leichten Anstieg des Marktsegments, trotz generellem kulturellen Interesses an Manga und Japan, dürfte in der fehlenden Lokalisierung der Titel liegen. Wer NIS Produkte spielt, der muss bislang zur japanischen Sprachausgabe eine Flut an englischen Texten lesen. Ein Großteil der möglichen deutschen Käufer ist sprachlich aber nicht sicher genug, um ein mehrere hunderttausend Worte langes Rollenspiel in einer Fremdsprache zu verstehen. Hier liegt entsprechend ein großes, nicht ausgeschöpftes Potential, denn eine deutsche Untertitelung könnte die Spiele deutlich attraktiver machen. Da aber die Verkaufszahlen aus wirtschaftlicher Sicht keine Übersetzung rechtfertigen, bleiben J-RPGs wie Disgaea wohl auch in Zukunft ein Genre für Liebhaber. „Die Kosten einer Übersetzung sind für uns so hoch, dass die Verkaufszahlen eher so bei zwanzigtausend Stück liegen müssten, um die Arbeit zu rechtfertigen. Wir glauben zwar auch, dass eine Steigerung der Verkäufe durch die Übersetzung möglich wäre, aber es müsste ein sehr starker Titel sein, um diesen Sprung zu erreichen. Da man die Verkaufszahlen vorher nicht weiß, ist das ein recht hohes Risiko“, muss Hermanns selbst enttäuscht zugeben. Das Interesse, die Produkte zu übersetzen ist auf beiden Seiten deutlich spürbar, aber auch NIS America sieht hier keinen wirtschaftlichen Nutzen, wie Managing Director Takuro Yamashita im Gespräch mitteilt (siehe Interview auf folgenden Seiten).

Dabei ist die Tendenz, wie oben erwähnt, positiv für den deutschen Markt. Wo noch vor einigen Jahren der Vertrieb mit den großen Ketten um eine Handelspräsenz kämpfen musste, da sehen MediaMarkt und Co. heute eine Nachfrage ihrer Kunden und sind gerne bereit die NIS Titel gut zu positionieren. „Als wir vor ein paar Jahren anfingen, NIS Titel zu vertreiben, da haben wir die Spiele hauptsächlich über Online-Händler verkaufen können. Die großen Elektronikketten haben wir da nur für ganz große Lizenzen mit ins Boot bekommen. Natürlich ist Amazon auch heute noch der größte Abnehmer, aber auch Media/Saturn und Gamestop fordern mittlerweile aktiv von uns die Titel an. Wir sind mit der Ware breit und marktkonform aufgestellt und das ist in den Absatzzahlen deutlich zu merken.“

Positiv für die Verkaufszahlen ist auch die Konzentration der NIS-Entwickler auf bestimmte Konsolen. Bedingt durch die schwache Position von Microsoft in Japan werden die Spiele fast ausschließlich für Sony-Konsolen hergestellt – diese aber dafür relativ flächendeckend bedient. Und so erscheinen gerade auch für die sonst eher gering mit Software bestückte PlayStation Vita viele der Titel. „Das ist ein Segen für uns“, meint Hermanns, „da die Titel somit bessere Chancen für einen Charteinstieg haben und das Produkt bekannter werden kann. Es gibt für die PS Vita eine deutlich geringere Anzahl an Veröffentlichungen und unsere Verkaufszahlen sind dann in Relation eben größer. Eine Chartpräsenz hilft dann natürlich auch dabei, das Spiel insgesamt – also auch die PS3 Version – bekannt zu machen. Hinzu kommt, dass die Spiele auf der Vita gut funktionieren. Es scheint, als besäßen durchaus ein paar NIS-Fans eine PSV.“

Gerade erschien in Japan mit Natural Doctrine nun auch der erste NIS-Titel für die PS4. Das Spiel ist zwar noch für alle Plattformen (also auch PS3 und PSV) erhältlich, doch soll es auch in den USA und in Europa ausloten, wie stark sich die neue Konsolengeneration und J-RPG-Fans verbreitet hat. Christopher King, PR und Marketing Manager von NIS America sieht die Entwicklung als positiv: „Es braucht keinen wirklichen Testballon. Wir glauben daran, dass NIS Kunden die PS4 angenommen haben. Die Verkaufszahlen zeigen das ja. Und natürlich bedarf es starker Software-Titel, um die Hardware attraktiv zu machen. Mit Natural Doctrine liefern wir ab September einen sehr guten Grund für unsere Kunden, sich eine PS4 anzuschaffen. Und in Zukunft werden es sicherlich mehr werden.“ In Japan scheint das Produkt positiv angenommen zu werden. Ob das für deutschen Markt so gilt, bleibt zwar noch abzuwarten. In das diesjährige Gamescom-Line Up von NIS und Flashpoint hat es das Spiel jedenfalls schon mal geschafft. Und dort wird man dann auch sehen können, wie groß das Wachstum für die vermeintliche Nische japanischer Manga-Spiele ist und ob es bald auch im Games-Bereich boomt.

Ursprünglich erschienen im IGM 6/2014.