Poetische Gratwanderung im Pop

Sieben Musiker aus Hamburg, drei Sprachen, drei Stimmen und jede Menge musikalischer Einflüsse – all das vermischt die junge Band „Kollektiv22“ zu einem selbstgekochten „Ratatouille“ aus Pop, Rock, Folk, Rap und Chanson.

Normalerweise gehören musikalische Kollektive einer wie auch immer gearteten Avant-Garde an, die sich mit intellektuellen Mitteln von der Norm des aktuellen Kunstschaffens absetzen wollen und bei denen die einzelnen Mitglieder dem Gesamtbild untergeordnet sind. Beim Hamburger „Kollektiv22“ ist das nicht ganz richtig – ihr Debütalbum „Geschichten ohne Versmaß“ glänzt vor allem durch die Eingängigkeit der Melodien, eine schlanke Band-Instrumentalisierung, die dank Mandolinen-Einsatz exotisch wirkt, und das reizende Zusammenspiel dreier Stimmen. Von intellektueller Abgehobenheit und Avant-Garde-Druck ist da nichts zu spüren. Und auch sonst: „Kollektiv bedeutet für uns keine zwangsweise Unterordnung unter die Gruppe“, berichtet Sänger Ben Münchow: „Vielmehr bringt jeder seine Ideen und Einflüsse mit in die Gruppe – ganz individuell. Wir teilen die Aufgaben, die Verantwortung und jeder ist am Prozess der Bandentwicklung beteiligt.“

Das gilt auch und insbesondere für die Songs der Band, auf denen neben Ben noch Sänger David Berton und Rapper Daniel Schütter zu hören sind. „Wir haben das große Glück gleich drei, teils sehr variable Stimmen zur Verfügung zu haben. Die Songs sind entsprechend darauf abgestimmt – Daniel rappt und David und ich singen zweistimmig, ergänzen uns und variieren.“ Und das nicht nur stimmlich, sondern auch sprachlich, denn die Songs vereinen deutsche, englische und – dank Davids Muttersprachlichkeit – auch französische Textpassagen. „Wir haben die Kompetenz in drei Sprachen tolle und anspruchsvolle Texte zu schreiben, also warum sollten wir es dann nicht nutzen. Wichtig war uns dabei immer, dass die Texte einen gewissen Tiefgang haben und nicht, wie im aktuellen Pop gängig, nur so seicht dahin plätschern.“ Also ist doch ein wenig Intellektualität dabei, wenn die Band ihre „Geschichten ohne Versmaß“ präsentiert? „Ja und nein. Es geht nicht darum, auf Biegen und Brechen poetisch zu sein. Aber ein paar von uns sind auch am Theater tätig. Wir sind Schauspieler – unsere Eltern sind Schauspieler. Die Wirksamkeit der Sprache liegt uns also im Blut. Vor allem ist uns aber – daher der Titel des Albums – der Freiheitsgedanke wichtig. Ohne Versmaß ist eine Aussage über die Regeln und Konventionen, aus denen wir ausbrechen wollen. Schon alleine, weil wir keine normale Popband sind.“ Ihr Debüt unterstreicht diese Aussage eindrucksvoll – und lässt für die Zukunft des Kollektivs hoffen.

Kollektiv22 – „Geschichten ohne Versmaß“

Ursprünglich erschienen im Piranha 07/2014