Buch-Tipp: Nnedi Okorafor – Wer fürchtet den Tod
Nnedi Okorafor zählt aktuell wohl zu den wichtigsten Stimmen der US-amerikanischen Science-Fiction und Fantasy. Ihre Werke sind deutlich von ihrer nigerianischen Abstammung geprägt und nutzen die westafrikanische Kosmologie, um einer eher stagnierenden US-Fantastik neue Impulse zu geben. Okorafor wurde dafür in den letzten Jahren mit diversen Preisen ausgezeichnet, vom World Fantasy Award über den Nebula bis hin zum Hugo. Ihre Arbeit an den Black Panther Comics war so erfolgreich, dass Marvel ihr die Möglichkeit gab, eine eigene Miniserie über die Dora Milaje (die Elitetruppe des Black Panther) zu entwickeln. Und zumindest aus kommerzieller Sicht schlägt dann noch ihr Debut-Roman Wer fürchtet den Tod zu buche, der gerade von HBO eingekauft wurde und unter der Produktion von George R. R. Martin als Serie umgesetzt wird.
Stilistisch ist Wer fürchtet den Tod dabei schwer einzuordnen, finden sich in der Geschichte doch Elemente die klar einer postapokalyptischen Science Fiction zuzuordnen sind, ebenso wie Elemente, die man eher der Fantasy zuschlagen würde. Der Roman spielt weit in der Zukunft im Sudan und folgt der jungen Frau Onyesonwu (der Name ist die Igbo-Übersetzung des Titels). Onyesonwu ist eine Ewu, eine Ausgestoßene weil sie als Kind einer Vergewaltigung geboren wurde. Ihre Existenz verweist die dunkelhäutigen Okeke auf das Leid, das ihnen durch die hellhäutigen Nuru täglich widerfährt. Im Verlauf des Romans erfährt Onyesonwu jedoch nicht nur die schreckliche Historie ihrer eigenen Zeugung, sondern auch, dass ihr Vater ein mächtiger Nuru-Magier ist, der gerade seinen finalen Schachzug plant, um die Okeke ein für alle mal auszulöschen. Onyesonwu, die das Potential für Magie von ihrem Vater geerbt hat, muss sich auf den Weg machen, um ihre Mutter zu rächen und zugleich ihren Vater aufzuhalten.
Folgt man dieser Zusammenfassung, so erklärt sich der Fantasy-Anteil relativ leicht, spiegelt die Geschichte doch klar die mythische Heldenqueste, die quasi das Grundgerüst von 90% der klassischen High Fantasy ausmacht. Doch Okorafor verwebt diese Geschichte in die Kultur Westafrikas und eine postapokalyptische Welt. So schickt sie Onyesonwu zusammen mit Schulfreunden auf den Weg, die rein gar nichts mit mythischen Questen am Hut haben. Deren Fokus auf ein gutes Leben, Partnerschaften und Alltagsprobleme lässt uns ganz andere Blickwinkel auf die Magie finden, die jenseits typischer Fantasy-Kost liegen. Dazu kommt, dass die Welt des Romans in vielerlei Hinsicht Reminiszenzen unserer Welt aufweist, viele Motive auf unsere Zeit (als narrative Vergangenheit) verweisen. So findet sich westliche Technologie, verweht vom Wüstenwind unter vielen tausend Sandkörnern. Das zerkratzte Computertablet wird zum Verweis auf eine Welt vor dem Zerfall, doch der Roman weigert sich diese Welt direkt aufzurufen. Konsequent weigert sich Okorafor eine Historie des Übergangs zu erschaffen. Stattdessen, wie es heute buchstäblich der Fall ist, erhält die afrikanische Realität nur die Abfallprodukte einer früheren, anderen Zivilisation – ohne Kontext, ohne Erklärungen. Und so liest sich der Roman auch als Warnung, dass unsere Welt historisch dem Ende zugeht, und dass die folgende Welt vielleicht die Zeichen nicht entziffern können wird, die wir hinterlassen. Wer fürchtet den Tod zeigt wie eine alte, magische Realität unsere technologisch aufgeklärte ersetzt und mit neuer Bedeutung erfüllt.
Dabei ist der Roman keineswegs nur mit der zukünftigen Entwicklung unser konsum- und technikorientierten Welt beschäftigt, sondern verweist vor allem in seinen traumatisierten und dennoch wirkmächtig gezeichneten Charakteren auf reale Konflikte und Praktiken. Die Ewu sind Okorafors Versuch, die grausame Praktik der Vergewaltigung als Kriegsstrategie zu verarbeiten, wie sie etwa im Dafur Konflikt eingesetzt wurden. In der Darstellung des Terrors von hellhäutigen Nuru gegen dunkelhäutige Okeke verweist der Roman auf Genozide innerhalb Afrikas, in denen Marker wie der Helligkeit der Haut zur rassistischen Motivation brutalster Taten herhalten mussten. Diese realweltliche Kritik verbindet sich im Roman mit den Motiven und Perspektiven sowohl der Fantasy als auch der Science Fiction und zeigt, dass jenseits starrer Genregrenzen faszinierende Geschichten möglich sind. Wer fürchtet den Tod ist ein furioser Debütroman, der die Fantastik bereichert und um eine ungewohnte Perspektive erweitert.
Ursprünglich erschienen im SF Jahr 2018, Golkonda