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Multi-Tasking für Profis

Als sich 1998 Faith No More auflösten, da war das für Sänger und Frontmann Mike Patton wie ein Dammbruch. Seit dem hat er seine Kreativität auf so viele verschiedene Projekte verteilt, dass selbst eingefleischten Fans der Überblick fehlt.

„Alter, kannst du auch ’ne halbe Stunde früher da sein? Mike ist schon mit dem Soundcheck fertig.“ Der Promoter am anderen Ende des Telefons hat es nicht leicht. Er betreut Mike Patton, und das ist in etwa so, wie einen Sack Flöhe zu hüten. Der Tausendsassa der alternativen Musik, Mr. Faith No More himself, hat mal wieder eine neue Platte aufgenommen und gibt dafür Interviews. Doch er ist nicht wie die meisten Musiker auf Promo-Tour. Statt dessen schiebt er die Interview-Termine für das neue Projekt Peeping Tom mal kurz dazwischen. Gerade tourt er mit seinen Kumpels Dave Lombardo von Slayer und der gesamten Melvins-Truppe als Fantomas Melvins Bigband durch Europa. Als ich in der Kulturbrauerei in Berlin eintreffe ist Mike nach dem Soundcheck gerade mit einem Foto-Shooting für ein Style-Magazin beschäftigt. Dabei wirkt der Mann aus dem kalifornischen Eureka gar nicht so unbändig. In einem sehr stylischen blauen Hemd gekleidet, mit perfekt sitzenden zurück gegeelten Haare, die fast schon zum Markenzeichen gewordenen sind, und einem verschmitzen Lächeln kommt er auf mich zu. „Step into my office, buddy!“ Na klar, für dich mach ich doch glatt alles. Eine Aura von Alpha-Tier umweht den Mann als er den Backstageraum betritt und sich auf das Ledersofa flegelt. Und man spürt das Knistern. Die Unruhe, die in ihm drinsteckt.

Stressiger Tag, Mike? „Ach quatsch, nicht anders als jeder andere Tag in meinem Leben. Das ist normal. Zugegeben, im Moment hat das alles eine andere Intensität, aber der Rhythmus meines Lebens ist nun mal so. Ein paar Dinge hier, ein paar dort. Vielleicht ein wenig auf Tour gehen. Das einzige, was im Moment anders ist, ist das ich ein paar Interviews dazwischen geschoben habe.“ Na klar, ein paar Dinge hier, ein paar dort. Wenn das mal nicht die Untertreibung des Jahres ist. Der Mann gilt gemeinhin als Workaholic und steht eigentlich nie still. Neben zahlreichen Gastauftritten bei befreundeten Musikern, seinem Metal-Jazz-Ungetüm Fantomas, der Rock-Band Tomahawk, dem ewigen Lieblingsprojekt Mr.Bungle und zwei Soloscheiben hat Mike jetzt noch ein elektronisches Konzeptalbum in Kooperation mit diversen Musikgrößen herausgebracht. Und nicht zu vergessen, dass er im Moment mit dem Melvins-Fantomas-Kollektiv auf Tour ist, nur so zum Spaß. Doch zurück zu Peeping Tom, dem neuesten musikalischen Mutant aus dem Hause Patton, den er in Zusammenarbeit mit den Größen der elektronischen Musik-Szene ausgetüftelt hat. Da vergreifen sich Massive Attack, Kool Keith, Dub Trio, Dan the Automator oder auch Kid Koala an Pattons Beat-Basteleien. Peeping Tom bedeutet so viel wie Spanner und ist der Originaltitel des Films „Augen der Angst“ aus dem Jahre 1960. Es geht um Voyeurismus, was Mike auf seine ganz eigene Weise auf die Musik umdeutet: „Ich war dabei ziemlich selbstsüchtig. Ich versuche hier zu lernen, was die anderen machen. Ich blicke auf sie, schaue sie mir an. Ich lerne das Programmieren, ich lerne wie sie diese komplizierten Beats konstruieren. Wie ein solcher Song zusammen gesetzt wird. Auf jeden Fall mehr, als die auf mich blicken.“

Dabei wäre ein Blick auf Mikes Schaffen in den letzten Jahren bestimmt nicht uninteressant, denn er hat nach seiner Tätigkeit als Faith No More-Frontmann so ziemlich kein musikalisches Genre ausgelassen. Seine Kooperationen mit dem befreundeten Experimental-Jazzmusiker John Zorn, seine Gastauftritte bei den Melvins, bei der isländischen Popikone Björk und seine Metal-Experimente mit FantÙmas sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Doch egal welches Genre er bereichert hat, bislang hat in der großen weiten Pop-Welt kaum jemand davon Notiz genommen. Warum eigentlich? Ist Mike Patton zu anspruchsvoll für die Ohren der Welt? „Vielleicht ein wenig, ja. Bei diesem Projekt hatte ich das Gefühl, ich sollte es nicht zusätzlich behindern, deswegen die Interviews. Alle um mich herum waren ganz aufgeregt. Und ich möchte ja auch, dass die Platte von so vielen Menschen wie möglich gehört wird. Das will ich zwar immer, aber mit Fantomas ist das problematisch. Es gibt nur eine handvoll Menschen, die diese Musik genießen können und Gott möge sie behüten, denn der Scheiß ist echt schwierig. Aber mit Peeping Tom ist das anders. Das ist ein Spaßalbum, das locker daherrollt und niemandem weh tut,“ sagt Mike und lacht dabei ironisch, „Okay, es ist immer noch keine Popmusik. Obwohl – für mich schon.“ Naja, Popmusik auf hohem Niveau halt, denn in das Muster der Charts lässt sich Peeping Tom nicht einordnen. Auch wenn Chart-Darling Norah Jones an einem Song mitgewirkt hat, bleiben die Songs eigenwillige Musik, wie eigentlich alles, was Mr. Patton so anfasst. Wieso muss seine Musik eigentlich so schwer zugänglich sein? „Keine Ahnung, es ist halt so. Ich bin vor Jahren dahinter gekommen, dass meine Musik nirgendwo so richtig passt. Egal was ich auch tue, es wird eine kleine, freakige Missgeburt. Egal, wie es sich für mich anhört, die wenigsten Menschen verstehen das. Deswegen habe ich das Label gegründet. Um ein Forum dafür zu haben, so eine Art Dach über dem Kopf.“

Das von ihm gegründete Label Ipecac Records ist somit zu einer institutionalisierten Mike Patton-Freakshow geworden, denn der Ausnahmemusiker gibt sich nicht mit ein oder zwei Bands zufrieden, so viel ist schon mal klar: „Es ist überhaupt nichts Besonderes wenn ein Typ sechs Bands hat. Das ist keine Sensation. Das bedeutet lediglich, dass ich nicht gerade viel Anderes mache. Das ist alles“, sagt er und grinst. Klar, der Tag hat halt nur vierundzwanzig Stunden und irgendwomit muss man seine Zeit ja verbringen. Und doch scheint der Alltag für Mike irgendwie anders auszusehen, irgendwie seltsam: „Nein, das ist nicht seltsam. Ich bin halt nur ein ziemlich eindimensionaler Mensch. Ich mache Musik. Ich fahre nicht in Urlaub. Ich mache vieles nicht, was normale Menschen so tun. Musik aufzunehmen ist für mich so normal, wie meine Zähne zu putzen oder kräftig scheißen zu gehen. Wenn man muss, dann muss man. So einfach ist das.“ Danke für diese blumige Metapher Mike. Das ganze Aufhebens, was um seine Arbeitsethik gemacht wird, amüsiert ihn nur. Er kennt es halt nicht anders. Ruhe ist ein Fremdwort für ihn und an den letzten Urlaub kann er sich gar nicht mehr erinnern. Und dann klingelt das Telefon, Mike entschuldigt sich mit den Worten: „Ich muss weiter, habe noch eine Verabredung“, und ist schon weg. Der Promoter von vorhin schaut irritiert hinterher und versichert sich selbst laut: „Ich hoffe, er weiß, dass er um zehn Uhr auf der Bühne stehen soll.“

 

Das Patton-Universum

Stillstand ist der Tod – seit der Trennung von Faith No More hat Mike Patton ein Label gegründet und sich in diversen Projekten als quicklebendig erwiesen. Hier ein kleiner Ausschnitt aus seinem Schaffen.

Faith No More: 1989 startete Mike Patton bei Faith No More am Mikrofon und mit seinem Debüt „The Real Thing“ kam auch der große Durchbruch. Bis zur Auflösung 1998 folgten die Alben „Angel Dust“, „King For A Day“ und „Album Of The Year“, sowie ein Live-Album und eine „Best Of …“-CD. Ihre Hits wie „Midlife Crisis“, „I’m Easy“ oder „Ashes To Ashes“ sind bis heute absolute Tanzflächenfüller.

Tomahawk: 1999 zusammen mit Duane Denison von Jesus Lizard gegründet und um Mitglieder von Helmet und den Melvins erweitert, rocken Tomahawk versiert und vertrackt durch mittlerweile zwei Alben. Das Programm ist klar: intelligent und dynamisch da anknüpfen wo bei Faith No More Schluss war.

Fantomas: Ebenfalls 1999 gegründet und doch eine ganz andere Welt. Mit Buzz Osbourne von den Melvins und Dave Lombardo von Slayer vertont Patton hier einen Comic zu brachial zwischen Lärm, Fusion-Jazz und Metal, dass einem Furcht und Bange werden kann. Mittlerweile hat die Band je nach Zählung es auf vier oder fünf Alben gebracht. Eines ist die Neuvertonung bekannter Horrorfilm-Melodien, ein anderes besteht aus einem 70-Minuten Ambient-Track. Hier gibt es nichts Verlässliches.

Mr.Bungle: Diese Band gab es eigentlich schon vor Faith No More, 1985 gegründet ist sie quasi die musikalische Heimatbasis von Mike Patton. Seit 2000 gab es jedoch kein Lebenszeichen mehr, ob jemals wieder eines kommt ist unklar. Mr.Bungle covern auch mal frech Britney Spears oder rocken sich quer über alle musikalischen Grenzen hinweg: egal ob Techno, Tango, Jazz oder Metal, hier wird alles verquirlt.

John Zorn: Mit dem extravaganten Jazz-Musiker verbindet Patton nicht nur eine Freundschaft, sondern auch eine Seelenverwandschaft in Bezug auf musikalische Kreativität. Ständig nach neuen Möglichkeiten der Verausgabung suchend, sind beide immer wieder in Kooperationen miteinander aufgetreten, so unter anderem als Weird Little Boy oder bei den Painkillers. Zorn veröffentlichte auch zwei Solo-Alben von Patton auf seinem Label Tzadik Records.

Diverses: Neben all diesen „festen“ Projekten versucht sich Mr. Patton auch immer wieder als Produzent (Kaada), Gast (Björk, Dillinger Escape Plan, Melvins, Sepultura), Kollaborateur (Lovage mit Dan the Automator, Painkiller mit John Zorn) oder einfach nur Einflussnehmer wie bei der Kollaboration mit den HipHop-Jungs von The Executioners: General Patton vs. The Executioners.

Der Artikel ist erschienen im blond magazin Ausgabe 06/06.

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