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Frühjahrsputz und Glaubenskonversion

Das Leben des Ed: Solo statt Live und Jesus statt Buddha. Noch vor vier Jahren war Ed Kowalczyk Sänger und Frontmann einer Band, ein ruhiger Mittdreißiger aus den Bergen Südkaliforniens, der in seinen Songs über Spiritualität sang, und über die Wunder, die es im Leben überall gibt. Mehr als zwanzig Jahre als Kopf der Band Live liegen jetzt hinter ihm, und der drahtige Mann, der eine so unglaublich ruhige Energie ausstrahlt muss lachen beim Gedanken an die Zeit danach: „Nach dem letzten Album haben wir einfach nicht mehr zusammen gefunden. Es gab einen Bruch und ich hatte das Gefühl kreativ total eingeengt zu sein. Da wusste ich, es bleiben mir zwei Optionen. Entweder ich höre ganz auf, oder ich ändere mein musikalisches Umfeld.“

Unnötig zu erwähnen, wie die Entscheidung ausging, denn mit „Alive“ erscheint dieser Tage Ed Kowalczyks erstes Soloalbum. Er wirkt erleichtert, entspannt und eins mit sich selbst, wenn man das Klischee bemühen darf. „Das stimmt“, pflichtet er bei, „ich bin voller positiver Energie. Ich habe es geschafft meinem Leben eine neue Richtung zu verleihen und den Spaß am Songwriting wieder zu entdecken. Die Arbeit am neuen Album, das war eine tolle Erfahrung und hat mich innerlich wachsen lassen. Die Jungs haben es geschafft in mir bislang unberührte Kapazitäten frei zu setzten. Überwältigend!“

Auf dem Album bemerkt man diese Unberührtheit ganz besonders stark in den Momenten, in denen die Bandmitglieder Einfluss auf die Songs genommen haben, in denen Rhythmen oder Gitarrenriffs einfach nicht mehr nach Live sondern eben variabler klingen. Zwar ist ein Großteil von „Alive“ dem letzten Live-Album „Songs from Black Mountain“ ähnlich, aber immer wieder scheinen Elemente durch, die so bei Live nicht vorhanden waren. Kowalczyk lacht, pickt mit den Fingern an seinen Turnschuhen und meint dazu: „Ich habe auch bei Live den größten Teil der Songs geschrieben, und natürlich klingen die Songs auch jetzt noch nach mir. Und ich spiele immer noch mit einer vollen Rockband im Studio und auf der Bühne. Aber mit anderen Musikern zu arbeiten hat mir auch neue Möglichkeiten eröffnet. Sie haben neue Ideen eingebracht, und sie haben mein Songwriting gehört und mir andere Räume aufgezeigt, die hinter meiner Art zu schreiben lagen. Neue Erkenntnisse und Interpretationen.“

Und auch inhaltlich hat sich nicht alles um 180 Grad gedreht, denn wie Kowalczyk bemerkt: „Mich interessieren ja noch die selben Themen. Natürlich hat sich mein Fokus verändert, aber die Inhalte sind geblieben.“ So zum Beispiel seine Spiritualität, die in den Songs immer wieder durchscheint. Beim letzten Interview zu „Black Mountain“ hatte Kowalczyk jedoch noch erzählt, er schreibe von Spiritualität ohne eine bestimmte Religion oder gar kirchliche Institution im Hinterkopf zu haben. Er meditiere und sei wohl am ehesten noch als Buddhist zu bezeichnen. Doch das hat sich geändert, denn Kowalczyk bezieht sich auf „Alive“ ganz klar auf seinen Glauben an Jesus Christus. Er wird ernster und leiser, das Spielerische seiner Art verschwindet und er lehnt sich vor wie zur Beichte als er antwortet: „Die Songs sind immer noch offen gehalten, ich will den Leuten nicht vorschreiben, woran sie glauben sollen, aber für mich ist die Musik von meinem Glauben geprägt. Und ich habe eben in den letzten Jahren zu dem Glauben zurück gefunden, in dem ich als Kind erzogen worden bin. Und das zeigt sich in den Songs.“ So finden sich auf „Alive“ deutlichere Bezüge auf Wunder in der Welt, auf christliche Werte wie Nächstenliebe und auf Gott – wie eben in der ersten Single „Grace“, in der es heißt: „Everytime I feel the sunshine / I thank the Lord up above“. Ähnliche Zeilen waren zwar auch schon auf Live-Alben zu hören, doch nicht so christlich geprägt. Musikalisch wie auch textlich hat Ed Kowalczyk mit „Alive“ versucht, die Balance zwischen Kontinuität und Veränderung zu halten – eine Gratwanderung, die schwer zu bewerkstelligen ist, in diesem Falle aber bravourös gemeistert wurde.

Ursprünglich erschienen in Kulturnews 07/2010.