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Medialisierte Medienkritik

Obwohl in der Musikbranche eine Live-DVD gerne als Brückenschlag zwischen zwei Alben genommen wird und den Fans die Wartezeit versüßen soll, haben sich Porcupine Tree für ihr neuestes Bildwerk Zeit gelassen und bringen erst jetzt „Anesthetize“ raus.

Das Timing ist ein Album zu spät, zumindest nach der Logik der Plattenbranche. Das Material von „Anesthetize“ ist nämlich nicht wie zu erwarten vom letztjährigen Album „The Incident“ und der dazu gehörigen Tour, sondern bereits aus dem Jahre 2008 und begleitend zum Abschluss der „Fear For A Blank Planet“-Tour im ‚013‘ im holländischen Tilburg aufgenommen worden. Drummer Gavin Harrison ist ein wenig verlegen, als er erklärt, dass die DVD bereits vor „The Incident“ erscheinen sollte: „Die ursprüngliche Idee war, die DVD im Frühjahr 2009 zu veröffentlichen, aber wir sind durch die Arbeit an ‚The Incident‘ etwas zu sehr abgelenkt worden. Der kreative Prozess des Schreibens war spannender als der technische des Videoschnitts und des Abmischens. Und dann kam eins nach dem anderen und wir haben die Veröffentlichung immer weiter verschoben.“

Die Arbeit an „Anesthetize“ war auch deswegen schon zeitraubend, weil die Band den Anspruch hatte, auf keinen Fall einfach nur eine Live-DVD rauszubringen und sich von dem Vorgänger „Arriving Somewhere …“ klar abgrenzen wollte, wie Harrison erzählt: „Jedes Jahr eine DVD rausbringen und sich dabei zu wiederholen kam für uns nicht in Frage. ‚Anesthetize‘ sollte eine ganz besondere Atmosphäre einfangen und die Zusammenarbeit mit dem ‚013‘, mit all den technischen Vorbereitungen und der idealen Größe der Bühne für unsere Kamerafahrten, und die Tatsache, dass wir gleich zwei Nächte dort aufgenommen haben, all das hat uns im Endeffekt mit dem bestmöglichen Material für eine DVD ausgestattet.“

Das 2Disc-Set bietet daher auch neben der DVD noch eine BluRay, die beide mit den Highlights der Shows angefüllt sind. Dazu gehören neben einer kompletten Performance des „Fear“-Albums noch 12 weitere Songs aus dem vollen Programm der Band. Die energetische Stimmung auf der Bühne und die bedrohlich-dunklen Bilder auf der Leinwand über den Köpfen der Musiker im Lichtschimmer des Clubs transportieren den Zuschauer dank HD-Bildmaterial stimmig in die Show.

Und da gerade „Fear Of A Blank Planet“ die Frage nach der Medialisierung der Zeit und der Authentizität von Medienerfahrungen stellt, sieht auch Harrison einen kritischen Bezug der DVD zum Album: „Wir befinden uns immer weniger im direkten Miteinander und sind statt dessen mehr und mehr digital durch Medien verbunden. Statt auf ein Konzert zu gehen, kann man sich das jetzt digital aufpoliert anschauen und dank Surround-Sound und Breitbild völlig seine Isolation vergessen. Ich frage mich, wo das noch hinführt.“ Aber vielleicht ist das ja der Grund, warum die DVD so lange bis zur Fertigstellung gebraucht hat. Der Widerspruch in einer medialen Welt zu leben und diese nur aus sich selbst heraus kritisieren zu können.

Porcupine Tree – „Anesthetize“

Ursprünglich erschienen in Piranha 06/2010.