Rückkehr zur Band

Fünf Jahre sind eine lange Zeit für Fans, um das ersehnte neue Album von Nevermore in den Händen zu halten. Für Gitarrist Jeff Loomis jedoch war diese Zeit dringend nötig, um der Band eine Chance zu geben, sich wieder zusammen zu finden.

Nach der Veröffentlichung von „This Godless Endeavor“ im Jahre 2005 und dem unvermeintlichen Tour- und Promostress, so Loomis, war es an der Zeit für eine Pause: „Das passiert in jeder Band. Es gibt einfach einen Zeitpunkt, da ist man sich zu nahe, geht sich gegenseitig auf den Zeiger und braucht mal Abstand von einander. Sonst wird es ungesund und die Band zerbricht wohlmöglich. Aber jetzt sind wir wieder voll da und hungrig darauf auf Tour zu gehen. Die Pause hat geholfen.“ Menschlich jedenfalls, erzählt Jeff weiter, ginge es jetzt wieder gut zwischen den Bandmitgliedern: „Ich glaube, der Abstand hat geholfen, einander aus anderen Augen zu sehen und wir haben dadurch einen neuen Respekt für die Arbeit des Anderen gewonnen. Dazu kommt, dass wir in der Zwischenzeit ja nicht untätig waren. Wir hatten alle die Gelegenheit, an unseren eigenen, ganz persönlichen Dingen zu basteln.“

Für Loomis und Sänger Warrel Dane war die Zeit besonders fruchtbar. Jeder von ihnen hat eine Solo-CD auf den Markt gebracht. Loomis meint, die Arbeit an den rein instrumentalen Solo-Songs hätte ihn sehr fokussiert: „Ich konnte mich endlich einmal nur auf die Gitarre konzentrieren und alles ausprobieren, was bei Nevermore ‚zu viel‘ gewesen wäre. Das war eine große künstlerische Freiheit, die mir geholfen hat, mich bei Nevermore entspannter mit dem Bandgefüge und meiner Rolle darin zu fühlen.“ Und so entstanden die Songs des neuen Albums „The Obsidian Conspiracy“ unter einem guten Stern, frei von dem Gefühl, sich musikalisch immer komplexer ausdrücken zu müssen: „Ich habe diesmal eine simplere und viel geradlinigere Herangehensweise gehabt. Die Songs sind melodisch, kürzer und ziemlich ‚catchy‘. Sie sollten sich schon nach wenigen Durchgängen in dein Herz spielen können. Wir haben unter anderem die Refrains schneller in die Songs gezogen und nicht so komplexe Strukturen eingefügt.“ Das Album wirkt dadurch weniger hart und unzugänglich, die Songs geradezu radiotauglich, erreichbar und vor allem ideal für hymnische Konzerteinsätze. Gerade die Vielseitigkeit und Emotionalität der Songs war beim Schreiben ein wichtiger Ansatz, wie Loomis erwähnt: „Musik ist für mich stark atmosphärisch und emotional sehr prägend. Als Band möchte ich dahin kommen, dass wir eben noch groß und episch klingen, und dann wieder schnell und bösartig. Chaos und Schönheit sollten gleichzeitig möglich sein.“

Mit „The Obsidian Conspiracy“ dürfte Loomis dieser Mix gut gelungen sein, auch wenn Fans der alten Stunde sich erstmal an die neuen Songs und ihre Zugänglichkeit gewöhnen müssen. Das Album ist eine Veränderung, ein Neuanfang und signalisiert den Weg, den Nevermore gehen wollen: „Wir wollen uns auf keinen Fall wiederholen, sondern mit jedem Album anders klingen. Und mit ‚Conspiracy‘ haben wir das, denke ich, sehr gut geschafft.“

Nevermore – „The Obsidian Conspiracy“

Ursprünglich erschienen in Piranha 06/2010