Game-Tipp: Heavy Rain (PS3)

Review: Heavy Rain von Sony (2010) für PS3

ursprünglich erschienen im Kreuzer 04/2010.

Mit dem Noir-Thriller Heavy Rain gehen die französischen Entwickler von Quantic Dream einen riesigen Schritt in Sachen Immersion im Spiel und übergeben dem Spieler die Kontrolle über gleich vier Hauptfiguren, die alle in einer dunklen, regnerischen Stadt auf der Suche nach einem Serienmörder sind. Anders als beim Film konnten Spiele nämlich bislang nur in den Zwischensequenzen in Sachen Atmosphäre, Setting oder Charaktere mithalten. Heavy Rain  jedoch gelingt es, photorealistische Darstellungen von Charakteren, Motion Capture-Animationen und eine hochtalentierte Regieführung im gesamten Spiel aufrecht zu erhalten. Und weil wir eben nicht nur die Höhepunkte der Mörder-Jagd spielen dürfen, sondern wie im Film üblich, die Charaktere auch persönlich in ihrem Alltag kennen lernen und sie durch eine detaillierte und dicht gefüllte Welt bewegen, wirken sie auf uns glaubwürdig und realitätsnah.

Neu ist auch, dass wir entscheiden dürfen, ob der FBI-Profiler oder die Fotografin neugierig sind, ignorant, feindselig oder hilfsbereit. Und diese Entscheidungen haben Tragweite im Spiel. Sie bestimmen die Reaktion der Umwelt und den Ausgang einer Situation. Ein ganzes Geflecht möglicher Handlungsstränge wird so möglich. Und selbst das größte Manko eines Spiels hat Heavy Rain nahezu verschwinden lassen. Denn das schwerfällige Interface eines Videospiels, das permanente, auffällige Element eingreifender Handlungen durch einen Spieler, ist kaum noch spürbar. Die Figur wirkt nicht mehr wie eine leicht beschränkte Puppe, die der Spieler entsprechend einer Marionette steuern muss, sondern spielt sich eher wie eine Verlängerung der eigenen Handlungen. Um diese Immersion zu erreichen, verzichtet Heavy Rain auf klassische Spiel-Konzepte wie etwa Punkte, Inventarlisten, Click & Point Rätsel und alles, was auf den Status als Spieler hinweist. Stattdessen setzt es auf ein intuitives Interface, das Handlungen, Konversationen und Bewegungen so natürlich wie möglich erscheinen lässt und dadurch den üblichen kognitiven Bruch mit der Illusion der Spielwelt verhindert. Keine Konversationsbäume warten auf den Knopfdruck mehr, stattdessen muss man rechtzeitig, assoziativ und vom Geisteszustand des Charakters beeinflusst auf die Rede des Gegenüber reagieren und das ist nicht immer leicht, wenn man den Helden gerade vorher zum Schnaps hat greifen lassen. Wie gesagt, alles hat seine Konsequenzen.

Heavy Rain reizt damit zum ersten Mal ansatzweise den starken Vorteil eines Spiels aus. Denn statt passiv im Fernsehsessel zu sitzen, bestimmen wir, was die Helden tun und wie die Geschichte weitergeht. Und da wir dank eines grandios intuitiven Interfaces nun auch endlich vergessen können, dass wir eigentlich nur Knöpfchen drücken, bietet das Spiel ein geradezu filmisches Erlebnis, nur eben weitaus interaktiver. Zwar ist das Spiel noch teilweise begrenzt, nur wenige Gegenstände sind nutzbar, nur wenige Charaktere ansprechbar und auch nicht jede Straße ist begehbar, doch mit Heavy Rain kommen wir der Idee einer freien, virtuellen Welt und der vollständigen Immersion des Spielers sehr viel näher als sonst üblich. Und wenn die kreative Entwicklung von solch immersiven Welten so weitergeht, dann brauchen wir demnächst eine neue Oscar-Kategorie für den besten interaktiven Film. And the winner is … Heavy Rain.