Game-Features

Gestatten, Gamedesigner

Die deutsche Entwicklerszene steht noch am Anfang und der Nachwuchs muss meist international gesucht werden. Das hat Cevat Yerli, CEO von Crytek,  im IGM Interview (07/2012) deutlich gesagt. Wo bislang das Know-How fehlte, gibt es jetzt erste Anzeichen einer Trendwende. Deutsche Hochschulen bieten ihren Studierenden erstmals einen gangbaren Weg in die Branche. So wie etwa dem Entwicklerteam Threaks, das mit seinem Spiel Beatbuddy kurz vor dem Durchbruch steht.

Das Büro der Threaks befindet sich zur Zeit noch im siebten Stock des Universitätsgebäudes der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) und wird ihnen im Rahmen eines Förderprogramms der Hochschule bereit gestellt. Es ist klein und wohl in der Planstelle der HAW-Verwaltung für zwei Angestellte ausgelegt worden. Und so drängen sich die drei Threaks-Gründer und ihre zwei Programmierer in einem engen, schlecht belüfteten Raum, die Arbeitsplätze verschachtelt, die Fensterbänke zu Trophäendisplays umgebaut und unter jedem der Tische Kartons mit Arbeitsmaterial. An den Wänden hängen die Auszeichnungen, die das Team sich erarbeitet hat. „Das dürfen wir eigentlich gar nicht“, gibt Sebastian Bulas verschämt zu, „weil die Uni klare Regeln gegen das Dekorieren der Räume hat.“ Aber irgendwo muss die Motivation ja herkommen in den harten Zeiten der Game-Entwicklung, schließlich haben die Threaks ihre letzten drei Jahre in das Projekt gesteckt – jede freie Minute und viel Blut, Schweiß und echte Tränen – mit dem Ziel den Weg in die Computerspielbranche zu schaffen.

Dabei war dieses Ziel am Anfang ihrer Studien noch gar nicht klar, steckten sie doch alle in Studiengängen wie Kommunikationsdesign oder Grafikdesign – der Weg in die Werbebranche war vorprogrammiert. In einem Businessplan-Workshop tat sich Bulas mit Wolf Lang zusammen, gemeinsam entwickelten sie die Idee ein China-Restaurant aufzumachen und verausgabten sich in Innenraumdesigns und der Menükartengestaltung. „Naja, wir sind halt Designer und auch ein Restaurant hätte uns die Gelegenheit gegeben, uns auszutoben und nach Lust und Laune das Konzept zu gestalten. Dass das aber auch mit Computerspielen gehen würde, das war uns überhaupt nicht klar. Wir sind alle Daddler, spielen seit unserer Kindheit, aber das wir das auch beruflich machen könnten, war jenseits unserer Erwartungen. Wichtig war uns nur, dass wir uns selbstständig machen und uns kreativ austoben können.“

Der Impuls in die Computerspiel-Entwicklung einzusteigen kam in Form eines interdisziplinären Seminars, das Prof. Gunther Rehfeld für Bachelor-Studenten sowohl des Kommunikationsdesigns als auch der Medientechnik anbot. Der Kurs „Game Design“ fand 2009 statt und war für Rehfeld eine Art Feldversuch, den er nun konsequent im MA-Studiengang weiterentwickelt. „Die Idee war es, möglichst früh Designer und Informatiker in den selben Raum zu bringen und die Studierenden Gruppen bilden zu lassen, die gemeinsam Ideen verwirklichen“, so Rehfeld über das Pilotprojekt. Das Seminar war derart erfolgreich, dass er an der HAW gleich einen ganzen Studiengang dazu einrichten konnte: „Idealerweise wäre zu wünschen, diese Kooperation auch in den ursprünglichen BA-Studiengängen beizubehalten und so das Zusammentreffen schon in der ersten Ausbildungsphase zu ermöglichen. Das frühe Kennenlernen der beiden Bereiche ist für die kreative Arbeit an Computerspielen einfach essentiell.“

So erging es auch Lang und Bulas, die mit einer Idee von einem Musikspiel die Kennenlern-Runde bestritten und dabei zwei Programmierer und den Grafiker Denis Rogic für ihre Idee gewinnen konnten. „Wir haben ein erstes Grafikdemo erstellt, das wir dann ganz im Stile von Werbern an die anderen ‚gepitcht‘ haben“, erklärt Lang den Findungsprozess. Das Demo eines sich im Takt bewegenden Kreises, der beim Einsammeln von anderen Kreisen Musikspuren des Techno-Tracks freischaltet war quasi der Grundstein von Beatbuddy. Doch das Endprodukt ist davon meilenweit entfernt, hat sich über mehrere Instanzen entwickelt. „Die Idee des Spiels war ganz simpel. Es ging uns darum Musik interaktiv und nicht-linear erfahrbar zu machen und Spielabläufe mit dem Erleben von Musik zu koppeln“, erklärt Bulas das Konzept. Ein Team war schnell gefunden und so entwickelte man im Kurs eine erste spielbare Version, die damals noch in einer 3D-Umgebung funktionierte.

Dass sich Beatbuddy bald zu mehr als nur einer Semesterarbeit entwickeln würde, war wohl in dem Moment klar, da das Team für die dahinter stehende Technologie erste Förderungen erhielt und sich eine Geschäftsgründung abzeichnete. Vorab mussten die einzelnen Team-Mitglieder aber noch ihre respektiven Abschlüsse zu Ende bringen und so für die notwendigen Grundlagen der Ausgründung sorgen. „Wir haben alle drei unser Diplom über Beatbuddy geschrieben“, erzählt Rogic und muss bei dem Gedanken an die Zeit lachen: „Ich weiß bis heute nicht, wie wir das gemacht haben. Es musste alles ganz schnell gehen, da wir zur Entwicklung der Technologie eine exist-Förderung erhalten haben. Die Grundbedingung dafür war aber, dass wir zum Antritt einen Abschluss vorweisen konnten. Wolf hat es besonders eng gehalten.“ „Wir haben damals auf dem Dachboden meines Elternhauses mehrere Wochen durchgearbeitet“, meint Lang dazu: „Wir waren dann mit dem Spiel auf eine Entwicklermesse in den USA eingeladen und alle anderen waren schon am Flughafen. Ich saß aber noch zu Hause und musste die Arbeit beenden. Ich habe letztlich mit einem Kurier die Arbeit eingereicht und meinen Flieger gerade noch geschafft.“

Inzwischen hatte sich das Spiel in die nächste Entwicklungsphase begeben und dank des aufkeimenden Casual-Gaming Marktes wollten die frisch gegründeten Threaks das iPhone als Plattform erobern. Beatbuddy wurde abstrakt und minimalistisch – eine Art musikalischer Hindernis-Parscours, der sich mobil hätte spielen lassen. Doch gerade für den Grafikdesigner Rogic war das zu wenig. „Ich wollte gerne gegenständlicher werden und eine Story entwickeln. Und da sich die Märkte schnell veränderten, habe ich eine Chance gesehen, meine Einflussmöglichkeit zu nutzen und den anderen meine Ideen vorzustellen.“ Der dritte Buddy, wenn man so will, wurde also zu einer greifbaren Figur, wie sie auch jetzt im Spiel steuerbar ist. „Aus dem Casual Game für das iPhone wurde ein plattform-übergreifendes Music-Action-Adventure, wie wir so schön sagen“, erklärt Lang den Wechsel des Mediums: „Dabei achteten wir in den einzelnen Phasen auf unsere Stärken und Denis ist halt ein genialer Zeichner, so dass wir Beatbuddy in einer 2D-Welt entwickelten und ihn mit richtiger Narration versorgten.“

Doch auch Jung-Entwickler müssen sich ihre Sporen verdienen und die Threaks hatten noch kein einziges fertiges Game vorzuweisen. Als dann die Firma Hermes eine Ausschreibung für ein Marketing-Spiel unter Studierenden plazierte, da schlugen die Threaks zu, entwickelten mit Hermes Run einen Vorläufer für das immer noch entstehende Beatbuddy. „Wir konnten Erfahrungen sammeln, unsere Gehälter eine Zeit lang bezahlen und vor allem für Beatbuddy bestimmte Entwicklungsfehler vermeiden. Das war ideal“, sagt Bulas. „Und es war ein erster, wirklicher Schritt zum Computerspielentwickler. Die Branche ist nicht gerade leicht zugänglich“, meint Rogic und verweist auf die Divergenzen zwischen Uni-Ausbildung und Branche. „Ich habe Grafikdesign studiert. Dort zu sagen, ich möchte ein Computerspiel erstellen, war in etwa so als hätte ich den ästhetischen Wert von Pornos angeführt.“ Auch Prof. Rehfeld kennt diese Probleme und verweist deshalb auf die wichtigen Kooperation mit Entwicklern und deren Einbezug in den Studiengang. „In den Seminaren, bei Gastvorträgen und im GamesCity-Treff wollen wir Gründungsstimmung verströmen und den Studierenden einen direkten Zugriff zur Branche ermöglichen. Dabei würde ich aber die Ausgründung nur wenigen Gruppen empfehlen, das ist meist ein recht hohes Risiko. Vielen ist eher damit geholfen, sich erstmal die Sporen in existierenden Teams zu verdienen.“

Für die Threaks war der Schritt in die Selbständigkeit noch etwas schwerer, weil die heutzutage ausgebauten Vernetzungen vor zwei bis drei Jahren erst im Aufbau befindlich waren. Und so mussten sie mit ihrem Beatbuddy erstmal hausieren gehen, Treffen mit der Branche und auf Messen arrangieren. Keine einfache Aufgabe, merkt man ihnen doch die Liebe zum Spielen, das Nerd-Sein, und den Charm des Frischlings noch ein wenig an. Doch man wächst mit seinen Aufgaben, meint Rogic: „Es macht einen Heidenspaß in einem Moment der Indie-Szene sein Spiel zu zeigen und im nächsten Moment vor dem Vice President von EA Partners zu sitzen. Die Messen waren da echt eine Erfahrung für sich und auch im Anzug fühle ich mich inzwischen wohl.“ Eine glückliche Hand beim Standnachbarn auf der games.com hat dabei sicher auch nicht geschadet. „Bei Fishlabs nebenan haben ständig Leute gewartet und sich dann an unserem Stand die Zeit vertrieben. Dadurch haben wir einige hundert Visitenkarten abgreifen können. Beatbuddy war der Hit auf der Messe, und teilweise kamen die Leute dann an, um einfach die Plüschfigur zu bekommen, die wir als Werbematerial erstellt haben“, erzählt Lang schelmisch.

Erfolg scheint die Aktion auf jeden Fall gehabt zu haben, konnte Beatbuddy doch trotz des frühen Entwicklungsstadiums 2011 eine Nominierung zum Deutschen Computerspielepreis in der Kategorie „Bestes Nachwuchskonzept“ ergattern und es in die Top 3 schaffen. Hinzu kommen weitere Nominierungen wie etwa beim Independent Games Festival, auf der Game Developers Conference, bei der Indie Connect in Berlin, ein Preis der Hamburger Kulturbehörde (Music Works 2011) und nicht zuletzt eine Auszeichnung mit dem Intel Level-Up 2012 Award für Best Sound und Best Art. Wer sich von den Qualitäten der Idee überzeugen und bei Neuigkeiten auf dem Laufenden bleiben möchte, der kann dies unter www.threaks.com tun. Ein Blick auf den schnuckeligen Beatbuddy lohnt sich.

Es wird nämlich konkret für die Jungs, denn Beatbuddy ist nun endlich reif für den nächsten großen Schritt. Einen renommierten internationalen Publisher hat man für das Spiel sichern können – näheres wollen die Jungs zwar noch nicht verraten, aber eine Pressemitteilung wird schon bald die Kooperation bekannt machen. Und auch erfolgreiche Gespräche mit Musikverlagen sind schon geführt, CDs mit Musikarchiven übergeben worden. Denn ohne Musik wäre Beatbuddy nicht so erfolgreich, erklärt Rogic: „Es ist ein Segen und ein Fluch. Unser großer Vorteil ist die Musik, die macht das Spiel so interessant. Das Konzept, nicht einfach nur begleitende Musik zu haben, sondern diese im Gameplay interaktiv zu erleben, ist vollkommen neu. Aber die Musik ist auch der große Nachteil. Durch die Technologie-Entwicklung dauert das Spiel-Design sehr viel länger. Ohne diesen Faktor hätten wir schon lange das Spiel fertig gehabt.“

„Die Technologie bietet die Gelegenheit, in Form der Spielerfahrung einen interaktiven Remix der Musik zu erstellen“, ergänzt Bulas und verweist darauf, dass mit dieser Technologie nicht nur Games entwickelt werden können, sondern auch Anwendungen für Event-Technik oder bei Musik-Interfaces möglich sind. Damit diese Ideen entwickelt werden können, aber auch weil Beatbuddy mehr Man-Power benötigt, werden die Threaks in der nächsten Zeit umziehen. Die Suche nach neuen Räumlichkeiten ist abgeschlossen und eine Aufstockung der Personaldecke ist auch schon beschlossene Sache. Den Rahmen der uni-gebundenen Förderung haben sie schon längst überschritten, ihrem Büro sind sie entwachsen. Es wird also Zeit, sich vollends in die Branche zu begeben und sich beim nächsten Mal mit Stolz auf der games.com vorzustellen: „Gestatten, Gamedesigner!“

Ursprünglich erschienen im IGM 08/2012 und auf igmonline.de