Zurück in die Zukunft
Nur im Metal ist so etwas möglich. Dass diese sechs buntscheckigen Typen aus Montreal tatsächlich Erfolge feiern. Im Normalfall würde man sie eher in Nachmittagstalkshows oder als Laiendarsteller für das böse Rockerklischee erwarten. Aber doch nicht auf einer Bühne. Als seien sie gerade einer Zeitkapsel aus den 80er Jahren entstiegen, grinsen Sänger Tony Gambino und seine fünf Freunden als Antwort auf die Frage, ob das ernst gemeint sei. So viele Kopftücher, Leopardenmuster, Lederhandschuhe und zu enge Jeans hat man seit Tommy Lee’s besten Zeiten nicht mehr gesehen. „Alter, die beste Musik der Welt ist in den 80er Jahren entstanden. Na klar meinen wir das ernst,“ sagt Tony und fügt dann mit einem verschmitzen Unterton hinzu: „Und außerdem sind die ganzen Moms bei unseren Konzerten einfach heiß!“
Den Jargon haben sie also schon mal drauf. Das Outfit sitzt, auch wenn unter den explodierten Haarschöpfen doch deutlich mehr Tattoos hervorblitzen, als in den 80er Jahren sittlich gewesen wären. Aber sie sind ja auch kein billiger Abklatsch sondern vielmehr eine Neuinterpretation. „Als wir angefangen haben, da waren wir ganz klar eine Metalcoreband, dann haben wir Shred Sean für unsere Lead-Guitar gefunden und angefangen mit Syntheziser-Sounds zu experimentieren. Dadurch wurde der Sound im 80er-lastiger. Also wurden wir zur Metalcore-Antwort auf Mötley Crüe,“ sagt Tony und ist keineswegs verschämt ob des Vergleichs. „Stimmt,“ ergänzt Shred „wobei wir mittlerweile auf dem Weg sind eine echt bunte Bande zu werden. Obwohl wir ja musikalisch viel mehr nach Journey klingen. Mit diversen Unterbrechungen im Song. Turbo Metal halt.“
Stimmt fast. Das von GGGarth produzierte Debütalbum strotz nur so vor Energie, Powerriffs, hymnischen Melodiebögen und fiesen Shouts. Eine Paarung, die Metalcore mit 80er Jahre Metal vermischt und dabei jegliche Klischees des Genres vor unseren Augen flaniert: von heißen Öfen auf dem Cover bis zur im Songtext beschriebenen heißen Braut („She Wolf“). Hier stimmt eigentlich alles zum reinrassigen Image: „Ja Mann, wir lieben Metal, wir lieben starke Autos und haben alle feuchte Träume davon unsere Gitarren auf Lamborghinis zu spielen, während die Flügeltüren sich öffnen und wir zum Himmel emporsteigen.“ Shred lacht und irgendwie erscheint die Ausgangsfrage dann doch nicht mehr so eindeutig zu beantworten. Diese Jungs nehmen nichts ernst. Rein gar nichts. „Das stimmt nicht, Mann,“ protestiert Tony, „wir nehmen eine Sache sehr wohl ernst. Unseren Glauben an Jesus. Wir sind alle Christen und darüber machen wir keine Scherze. Das sollte man aus unserer Musik raushören können.“ Ob das jetzt ernst gemeint war oder nicht, dass sollte jeder selbst rausfinden. Einfach mal zur CD greifen und in die Songtexte hören – mit oder ohne Jesus, nach 80er klingt es auf jeden Fall.
Ursprünglich erschienen im Piranha 09/2008.