Ausdruck der Freiheit

Sechzehn Jahre sind eine lange Zeit – um sich selbst zu verwirklichen, um eine Familie zu gründen, um eine neue Karriere zu starten. Aber auch, um etwas wieder zu entdecken, was man verloren glaubte, was aber immer noch da ist.

Es ist ein regenverhangener Tag: düstere graue Wolken liegen schwer wie Blei über Dublin und lassen das bunte Treiben der Touristen auf der Straße seltsam fehl am Platz wirken. Das Wetter mag der sommerlichen Zeit nicht angemessen erscheinen, aber doch wirkt es irgendwie passend zur Musik des neuen Albums von Dead Can Dance. „Anastasis“ heißt es, „Auferstehung“, und ist das erste Album seit sechzehn Jahren, das die beiden Musiker aus Melbourne eingespielt haben. Das Album ist dunkel gefärbt, schwelgt in Klangsphären jenseits der bunten Popwelt und will doch nicht düster sein. Es ist, wie andere Dead Can Dance Alben auch, jenseits der üblichen Kategorien von Pop, Rock, Klassik oder Weltmusik zu finden.

Und obwohl eine so lange Zeit vergangen ist, spricht Brendan Perry über das neue Werk, als sei es der natürliche Anschluss an „Spiritchaser“, ihr letztes gemeinsames Album. „Das Album ist kein Neuanfang, sondern ein Fortbestehen, ein Weiterschreiten für uns. Dead Can Dance ist und war für uns nie der einzige Bestandteil unseres Lebens, daher haben wir auch nicht das Gefühl gehabt, etwas aufzugeben oder anzuhalten. Es hat nur etwas gedauert, uns wieder zusammen zu finden.“

Dabei war die Trennung von 1996 – auf dem Höhepunkt ihrer gemeinsamen Karriere – für das Duo unabwendbar, wie Lisa Gerrard zugibt: „Wir waren nicht mehr in der Lage diesem Gefühl in uns Ausdruck zu verleihen. Wir hatten nicht mehr die Harmonie und das Verständnis, das Vertrauen in den anderen. Um aber wahre Kunst zu schaffen, tief in deine Seele zu blicken und dieses wundervolle Gefühl hervorzuholen, da bedarf es einfach dieses Vertrauens. Deswegen mussten wir getrennter Wege gehen.“  Es war ein notwendiger Schnitt, der beiden Künstlern Raum und Freiheit verschaffte, um eigene Wege zu gehen und äußerst erfolgreiche Solokarrieren zu starten. Gerrard veröffentlichte drei Soloalben, kooperierte mit unterschiedlichsten Musikern und begann Filmmusik für so große Hollywoodproduktionen wie Gladiator zu komponieren. Perry nahm auch Soloalben auf, zuerst mit viel Folkeinfluss, später orchestrale Musik. Und er gründete eine Sambaschule, gab Percussion-Workshops. Ihre Soloarbeiten haben sie ausgelebt, um nun wieder gemeinsam an einem Album zu arbeiten – aber warum gerade jetzt? „Das ist die Millionenfrage, die man uns immer stellt und auf die ich keine für die Presse befriedigende Antwort habe“, meint Perry und lacht. Ein wissender Blick zu Gerrard, ein Schmunzeln und dann sagt er: „Es gab nie einen Zusammenbruch von Dead Can Dance, wir haben uns nicht angeschrien und gegenseitig beschimpft. Wir waren einfach beide davon überzeugt, dass wir nicht mehr zusammen arbeiten wollten.“ Gerrard nickt, murmelt immer wieder Zustimmung und ergänzt schließlich: „Warum wir uns erst jetzt wieder zusammen gerauft haben? Weil bislang immer etwas dazwischen kam. 2005 wollten wir das schon einmal versuchen, nach der Tour. Aber das Leben, die Kinder, andere Projekte – immer wieder passte es nicht. Aber als Brendan mir diese Songideen vorgespielt hat, da wusste ich, dass ich wieder mit ihm zusammenarbeiten möchte. Es ist für uns ein Wiederaufbau. Wir gehen von dem aus, was einmal da war, und versuchen uns wieder zu finden. Es gibt kein Zurück in das Alte, aber man kann etwas Neues finden, was auf dem Alten basiert. Wir nähern uns einander an, ebenso wie wir uns der Musik und der Kreativität zwischen uns nähern.“

Um sich dem Projekt erneut zu nähern und eine Auferstehung zu feiern, hat sich Perry auf diesem Album vom östlichen Mittelmeerraum inspirieren lassen, hat seine ruhigen und wunderschönen Arrangements vermischt mit Sufi-Rhythmen und orientalischem Flair. „Griechenland, die Türkei, der Mittlere Osten – das Land dort ist für mich eine Wegkreuzung. Da treffen der Westen und der Orient aufeinander, da vermischen sich Philosophien, Kulturen und Religionen und da spürt man so sehr unseren heutigen Zeitgeist. Ich habe das in der Musik umsetzen wollen, habe klassische westliche Harmonien mit orientalischer Rhythmik verwoben.“ Das neue Album ist deutlicher Ausdruck des beschworenen Voranschreitens, verbindet es doch die emotionale Tiefe der Harmonien von „Into The Labyrinth“ mit den kraftvolleren Rhythmus-Passagen von „Aion“ zu einer positiven und ergreifenden Gesamtkomposition, die aber einfach nicht kategorial fassbar ist. Kunst, kein Kommerz. Ausdruck, kein Trend. Und so steht „Anastasis“ auch als Auferstehung einer Musik, die sich mit jeder Note gegen das heutige Musikbusiness richtet, wie Lisa Gerrard es ausdrückt: „Wenn man sich immer nur nach dem Druck der Moden dreht und den Trends nachläuft, dann hat man sich selbst nicht gefunden. Dann ist man kein Künstler, der nicht anders kann, als das auszudrücken, was in ihm ist. Brendan hat schon immer genau danach gestrebt. Von unserem ersten Album an, ging es uns nur darum einen Raum zu schaffen, der uns völlige kreative Freiheit und Verwirklichung erlaubt. Wir wollten als Musiker keine Einschränkungen erfahren und so ist das noch heute.“

Dabei sieht Perry Kunst, Kreativität und Handwerk als eng verbunden an. So produziert er alles selbst, hat sein eigenes Studio in einer verlassenen Kirche eingerichtet und behält in allen Aspekten des Albums die Kontrolle. „Das ist wichtig“, meint er, „weil du sonst aus der Musik eine Ware machst. Das passiert in diesen Castingshows bis ins kleinste Detail. Du gibst alles ab und machst ein Produkt daraus: ’streamlining‘ nennt man das, oder ‚outsourcing‘. Aber Musik zu machen ist ein Kunsthandwerk, keine maschinelle Produktion. Diese Popstars sind nur Hüllen, die austauschbar sind. Als Musiker aber, ist es wichtig, dass deine Handschrift in allem erkennbar bleibt und du mit allem verbunden bist.“

„Anastasis“ beschreibt so auch das Auferstehen seines kreativen Ideals und hoffentlich einen Neuanfang für das Duo: „Wir befinden uns in diesem Zwischenstadium“, meint Perry, „wie die Blumen auf dem Cover. Das Bild fängt eigentlich alles genau ein. Sie sind verblüht, wirken tot und ohne Leben. Aber in ihnen tragen sie das Saatgut für neue Blumen. Das Leben und die Kunst entstehen aus den Vergehen des Vorherigen.“ Der roten Faden für Dead Can Dance – die Toten können wieder tanzen und zu neuem Leben erwachen. „Als ich das Photo für das Cover sah“, sagt Perry, „da war mir klar, dass es dieses Album voll und ganz widerspiegelt. Damals habe ich noch nicht mal einen Titel gehabt. Der kam dann von ganz alleine dazu.“ Der graue, wolkenverhangene Himmel auf dem Cover findet sein Pendant über Dublin und als ob die Poesie ihren Beitrag leisten wollte, bricht am Ende des Tages die Sonne durch und lacht herab auf Touristen und Musiker zugleich – Anastasis.

Ursprünglich erschienen im Piranha 08/2012 und auf Piranha.tv.