Spiel des Lebens
Mehr als 150 Millionen verkaufter Einzelartikel ist eine Zahl, die man nicht wegdiskutieren kann. So erfolgreich wie das Anfang 2000 erstmals veröffentlichte Die Sims war bisher noch kein anderes Spiel, und das obwohl es mit allen bestehenden Regeln bricht. Die Lebenssimulation hat sich entgegen aller Erwartungen zu einer eigenständigen Marke gemausert und versteht es dabei besser als jedes andere Game-Franchise, Leute zu polarisieren und gleichzeitig Milliardeneinahmen zu scheffeln.
Anfang und Idee
„Die Idee zu Die Sims kam Will Wright, dem Erfinder von SimCity, als sein Haus 1991 als eines von über 3000 bei einem Großfeuer in den Oakland Hills in Schutt und Asche gelegt wurde“, erklärt Charles London, Creative Director des ‚The Sims Studio‘, den Moment kreativer Inspiration. „Will musste sein Haus aus dem Nichts neu erschaffen und begann damit, die Dinge um sich herum als Hindernisse oder Hilfsmittel auf dem Weg zur Erfüllung zu sehen. Feng Shui war damals ein ganz heißer Trend. Eine weitere Inspiration lag in den Theorien des Verhaltensforschers Abraham Maslow, der von einer Hierarchie der Bedürfnisse spricht. Menschen, so Maslow, benötigten erstmal eine Erfüllung einfacher Bedürfnisse (Essen, Obdach, Ruhe, Sicherheit) bevor sie sich höherstufigen Bedürfnissen (Sozialisierung, Unterhaltung, Selbstverwirklichung) zuwenden könnten. Wenn man diese beiden Ideen miteinander verbindet, dann hat man die Grundidee der Sims, wie Will sie entwickelte.“
Natürlich bedurfte es aber noch anderer kreativer Impulse, um aus dem Spiel um menschliche Bedürfnisse eine vollwertige Lebenssimulation zu machen. Doch der Kerngedanke ist bis heute geblieben. Der Spieler übernimmt das simulierte Leben seiner Figuren, richtet sein Leben ein und befriedigt die Bedürfnisse der Figuren. Wie aber der Verhaltensexperte theoretisierte geht es beim menschlichen Leben häufig um ganz Grundlegendes: Essen, Obdach, Sicherheit. Und so müssen Spieler stundenlang – vereinfacht ausgedrückt – Hausarbeit verrichten, um ihre virtuelle Bude sauber zu halten. Das PC-Haus blitzeblank, die Sims gut gefüttert, aber die eigene Küchen verwahrlost und schon wieder nur das TV-Dinner auf dem Tisch. Was genau ist daran denn nun ein Computerspiel?
„Genau diese Frage mussten wir während der Entwicklung des Spiels ständig versuchen zu beantworten. Warum sollte man ein Spiel spielen, das den Alltag der Menschen simulierte? Wie tiefsinnig sollte ein Spiel sein, in dem man Hausarbeiten erledigen musste? Die Industrie war damals in strikte Konzepte unterteilt: spiele einen Sport, kämpfe gegen Monster oder führe Krieg. Immer, wenn wir dem Review-Komitee eine Demo zeigten, mussten wir unsere Ideen bis aufs Blut verteidigen. Man versuchte uns mit Druck in die vorgefertigen Games-Schablonen zu drücken.“ London berichtet von endlosen Scheingefechten, Finten und heimlichen Belagerungen, die das Team mit den Bossen durchkämpfen musste, aber am Ende seien alle vom Ergebnis begeistert gewesen. Das Spiel sei vor allem deswegen so interessant für die Spieler, weil es ihre inhärente Kreativität in leicht organisierbare Bahnen lenke: „Die meisten Menschen wissen nicht, wie sie ihre Kreativität nutzen sollen. Malen, Singen oder Dichten ist harte Arbeit. Es kann frustrierend sein, weil es nicht immer von Erfolg gekrönt ist. Bei den Sims steht einem eine ganze Welt zur Verfügung, ohne Aburteilung, ohne Druck und ohne Scheitern. Und im realen Leben, im sogenannten Alltag stecken doch immer noch die tiefsten Abgründe und Emotionen, die man kreativ ausreizen und verarbeiten will.“
Die Lizenz zum Gelddrucken
Wenn aber ein Spiel menschliches Leben simuliert, dann muss es entweder unendlich groß und lang sein, oder aber es muss sich auf stark ausgewählte Facetten konzentrieren. Wie sonst könnte ein Spiel von begrenztem Umfang ein unbegrenztes Leben in all seinen Varianten fassen? Die Antwort ist ganz einfach: es geht nicht. In dem man aber zugibt, dass vieles in der Welt fehlt und das Fehlende als zusätzlichen Content nachliefert – gegen bares Geld versteht sich, kann man dem Spieler immer wieder neue Inhalte bieten. Kaum ein anderes Spiel weist ein derart große Zahl an ‚Add-Ons‘ und Zusatzinhalten auf, wie Die Sims. Konnte der erste Teil mit beachtlichen sieben Add-Ons dienen, waren es bei Die Sims 2 schon acht volle Add-Ons und elf Accessoire-Erweiterungen und auch der dritte Spielteil Die Sims 3 bietet eine ebenso volle Programmpalette. Neueste Erweiterungen erlauben den Sims ihre Lieblingsjeans zu tragen (Die Sims 3: Diesel-Accessoires) oder die menschlichen Fähigkeiten durch übernatürliche zu ergänzen (Die Sims 3: Supernatural). Für November ist bereits ein weiteres Add-On angekündigt, dass das Sim-Leben an die wechselnden Jahreszeiten und Feiertage angleicht (Die Sims 3: Jahreszeiten).
„Als wir das erste Mal über ein solches Add-On nachdachten“, erklärt Charles London die Vermarktungsstrategie als Glückstreffer, „da gab es einzig Missions-Packs für Strategiespiele wie Command & Conquer. Wir hatten keine Ahnung, ob Menschen für zusätzliche Inhalte wie neue Möbel tatsächlich Geld bezahlen würden. Aber mit dem Erfolg des Hot Date-Add-Ons haben wir quasi einen Durchbruch erzielt und plötzlich begriffen, dass hier ein riesiger Markt auf uns wartete. Hier lag unsere ökonomische Zukunft.“ Ein Markt, den Die Sims so massiv nutzen wie kein anderes Spiel. Dabei ist der wirkliche Zugewinn vor allem der Accessoire-Packs eher fraglich, bieten diese doch kaum wirklich neue Spielsysteme sondern einzig neue Texturen und optische Verschönerungen. Erbitterte Gegner der Simulation warten noch auf ein Die Sims 3: Bremerhaven und böse Zungen sehen in der Verzahnung von Marketing und Spiel eine Kommerzialisierung, die man im virtuellen Sinne als vollständiges Life-Branding bezeichnen muss.
Für London sind die „unglaublichen Partnerschaften“ mit Ikea, Ford, Diesel oder H&M ebenso wie das „Vergnügen mit so talentierten Künstlern“ wie Katy Perry, Lily Allen oder den Black-Eyed Peas zusammen zu arbeiten natürlich lobenswerte und herausragenden Punkte des Spiels. Und natürlich sollte man nicht vergessen, dass Entwickler ‚The Sims Studio‘ somit gleich doppelt verdient, denn Markenkooperationen bringen nicht nur Geld von Seiten der Firmen, sie öffnen das Spiel auch einem noch größeren Publikum und helfen dabei mehr Einheiten des Originals zu verkaufen. Eine Win-Win-Situation. Abgesehen vom Aspekt offensichtlicher Werbebotschaften, fördert das Spiel damit natürlich auch inhaltlich und ideologisch Markendruck, Oberflächlichkeit und die soziale Ausgrenzung. Wenn Die Sims für die Nutzer eine freie Spielfläche ohne Aburteilung sein soll, dann ist das Implementieren von realen Marken kontraproduktiv und weckt im Spieler reale Begehrlichkeiten, die eben nicht auf Knopfdruck zu befriedigen sind. Mein Sim trägt Diesel-Accessoires, aber ich kaufe bei Kick, weil was anderes nicht drin ist. Die Schere zwischen virtueller und realer Welt wird da zu groß.
Ideologie und Zensur
Und genau da wird es dann ein wenig schizophren, denn London bestätigt zum einen den Wunsch der Entwickler, das Spiel solle „das Gefühl real existierender Menschen“ vermitteln. Ohne zum Beispiel das Bedürfnis eines Klogangs oder des Hausputzes seien die Sims nicht realistisch genug, so London. Doch andererseits vermittelt das Spiel eben keinen Realismus sondern eine ideologisch bereinigte, utopische Welt: „Ja, es gibt ein Ethos im Spiel, darin unterscheiden wir uns von anderen Entwicklungen. Die Sims werden nicht gewalttätig gegen andere. Sie sind essentiell gut. Wir fügen negative Inhalte ein, aber ein Spieler wird mit diesen niemals das Spiel voran treiben können. Das Spiel repräsentiert eine optimistische Welt, eine Welt positiven Potentials. Wir nehmen dem Leben die Ketten des Rassimus, Sexismus, der Objektifizierung und des Vorurteils. Unsere Ethik ist eine gegenseitigen Respekts. Wir üben uns in Toleranz.“ Eine solche Zensur bestimmter Inhalte wiederum ist es, die das Spiel klinisch rein erscheinen lässt und kontroverse Momente, wie etwa die Vergewaltigungsvorwürfe gegen Spieler in Second Life, von vorne herein nicht möglich macht. In Bezug auf brenzlige Themen nimmt das Spiel absichtlich eine Ausblendung vor, wie London zugibt: „Im Bereich der Religion zum Beispiel versuchen wir von einer Botschaft abzusehen. Oder im Bereich von Gewalt. Wir haben uns entschlossen, den Tod von Kindern nicht zu thematisieren, da dies einen zu großen Eingriff in die Integrität der Welt bedeuten würde und wir zum Beispiel Trauerberater einführen müssten und vieles mehr. Da würden das Gleichgewicht und der Spielfluss leiden.“ Eine schöne, neue Welt ist es also, die uns Die Sims da suggeriert. Eine Welt, in die wir uns nur zu gerne flüchten und dafür sogar bereit sind öfters mal den Abwasch zu übernehmen. Eine positive, idealisierte Welt – schöner noch als die von Star Trek, denn dort können Kinder sterben und dort werden religiöse Konflikte unter Gewalt ausgetragen. Obwohl: bei Star Trek muss niemand mehr den Abwasch machen.
Ursprünglich erschienen in IGM 13/2012