Chaotische Findung

Die Vorankündigung der neuen Deftones Scheibe versprach eine hartes und kompromissloses Stück Rockmusik, so rau und aggressiv wie sie seit „Adrenaline“ schon nicht mehr geklungen haben. Und die Deftones liefern tatsächlich ein Gegenstück zu der atmosphärisch eher dunklen und getragenen „Deftones“ von vor drei Jahren. Doch so brachial und ungeschliffen wie das Debut ist „Saturday Night Wrist“ nun auch nicht geworden, da blitzen doch tatsächlich so einige Elektronikelemente durch, die mehr an Chino Morenos Sideproject Team Sleep erinnern. Was also ist im Studio passiert? „Mann, wir wissen doch nie was zum Teufel wir tun“, lacht Bassist Chi Cheng und verweist auf den kreativen Prozess der Band. „Im chaotischen Sinne stimmen die Punkte am Anfang einer Albumproduktion und am Ende einfach nie überein. Wir könnten im voraus gar nicht genau sagen, wie das Album am Ende klingt. Manchmal erscheint es mir sogar Wunschdenken, dass wir überhaupt ein Album fertig bekommen.“ Chi lacht bei diesen Worten, doch noch vor einigen Jahren schien die Prognose nicht so weit entfernt zu liegen. Bereits auf „White Pony“ war zu spüren, dass die Band nicht voll harmonierte und das selbstbetitelte Album von 2003 wirkte schwermütig und zersplittert. Chi erklärt das mit der Situation der Band: „Wir waren damals alle Einzelkämpfer, haben die Aufnahme wie Satelliten im Orbit gemacht. Da kann natürlich kein lineares und gemeinsames Album entstehen.“ Es schien, als sei es unmöglich die Band auf Kurs zu bringen. Doch wie kam es dann nach dieser Durststrecke wieder zu einem Album? „Wir sind einfach fünf sture, bockige Arschlöcher. Aber wir sind so leidenschaftlich mit Musik beschäftigt, dass wir sie bis in Kleinste auseinandernehmen. Das ist unsere Schwäche, aber auch unsere größte Stärke. Bei diesem Album waren wir wieder angefeuert und hatten diesen Hunger nach neuer Musik. Wir waren wieder glücklich darüber, mit den anderen arbeiten zu dürfen.“

Diese neu entdeckte Leidenschaft und Energie gilt sogar für den introvertierten Chino, der auf einigen Songs sogar wieder zu Geschrei und Aggression neigt. Diese Entwicklung überraschte sogar die anderen Bandmitglieder: „Wir waren geplättet, Chino schien wieder eine tiefe Leidenschaft zu haben. Als wir die Songs hörten, da waren wir aus dem Häuschen. großartig, er ist stinksauer, total angepisst.“ Ironischerweise ist der musikalische Einfluss den Chino mit auf das Album bringt aber nicht die Aggression, die mehr in Stephen Carpenters Bereich fällt, sondern die Elektronik. So sind auf „Saturday Night Wrist“ Chinos Vorlieben für experimentelle Songstrukturen und die Bleeps und Clongs dieser Welt deutlicher spürbar als auf allen anderen Alben. „Das liegt daran, dass wir jetzt mehr Sicherheit damit haben. Wir trauen uns einfach mehr. Jedes Album ist ein Sprungbrett ins Kreative. Wir wollen uns nicht einfach zufrieden geben sondern uns selbst erneuern und herausfordern. Und das haben wir auch geschafft.“ Was sollte man da noch hinzufügen?

Der Artikel ist erschienen im WOM Magazin Ausgabe 11/06.