Besuch aus dem 19.Jahrhundert
Der ruhige und eloquente Mann ist seit mehr als 25 Jahren Punk, doch er sieht gar nicht so aus, und auch sonst stimmt das Klischee heute nicht mehr. Bad Religion-Frontmann Greg Graffin ist nicht nur ein promovierter Biologe, sondern auch ein glühender Verfechter amerikanischer Traditionen, zumindest musikalischer. Mit seinem ersten Soloalbum „Cold As The Clay“ erinnert er sich seiner Kindheit, als er von seinem Onkel eine ganze Reihe Americana beigebracht bekam. Graffin nahm diese Klassiker, die teilweise bis ins 18.Jahrhundert zurückdatieren, neu auf und addierte einige Eigenkompositionen, die sich nahtlos an den Stil der Traditionals anpassen. Doch wie kommt ein Punk-Sänger dazu, konservative Traditionen zu verteidigen? „Diese alte Musik ist vielleicht die Urform des Punk, in dem Sinne, dass sie aus der Unterschicht kommt. Sie wurde von hart arbeitenden Leuten auf Farmen gesungen. Von Menschen, die jung starben und ein neues Land erschaffen haben. Es ist die Musik von Menschen die eine gemeinsames Leid teilten“, erklärt Graffin seine Nähe zu den Songs. Die Stücke sind ohne elektronische Hilfe, mit traditioneller Instrumentierung aufgenommen, ganz wie sie ursprünglich gedacht waren. Graffin wollte ein Gefühl der Authentizität erhalten: „Diese Musik ist konservativ im Sinne von ’sie bedarf einer Konservierung‘. Aber es ist ganz und gar nicht konservativ, seine Ursprünge zu erhalten. Und überhaupt, dieses Album ist eine Rebellion gegen Computer, die heutzutage jede Musik bestimmen.“ Und so schließt sich der Kreis, denn Rebellion liegt ja schon immer im Bereich des Punk und das ist kein Klischee.
Der Artikel ist erschienen im WOM Magazin Ausgabe 08/06.