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Des Königs neue Kleider

Vor genau einem Jahr hoben Katatonia ihre „Dead End Kings“ auf den Thron und legten ein vielschichtiges Album zwischen Prog-Rock und Metal vor. Mit dem neuen Album entmachten sie nun ihr eigenes Werk, entreißen ihren Herrschern die Krone und geben ihnen ein neues, volksnahes Gewand.

„Die größte Herausforderung war das Schreiben der Songs für das letzte Album,“ sagt Jonas Renkse und spricht in Rätseln. „Ich meine, wir haben damals festgestellt, dass die Songs ein Eigenleben haben, dass im Hintergrund so unglaublich viel passiert, was wir gar nicht beachtet hatten. Die Songs waren so vielschichtig, dass man ihnen mit einem Album nicht gerecht wurde. Deswegen haben wir ein zweites mit dem selben Material aufgenommen.“ Nur diesmal haben Katatonia die Songs von „Dead End Kings“ um all die Komponenten bereinigt, die normalerweise im Vordergrund stehen: keine Metalriffs, keine Verzerrungen, keine dominanten Drums mehr. Herausgekommen ist ein feinfühliges Akustikalbum, das aber weit mehr ist als ein einfaches Unplugged. Renkse meint, die Songs hätten neue Gewänder bekommen: „Das Album ist wie ein Zwilling des alten, aber einer, der einer ganz anderen Anforderung genügen musste. Wir haben die Songs bearbeitet, umgearbeitet. Vieles ist außen vor geblieben, aber dafür konnten wir andere Schichten aus der Dunkelheit holen. Wir haben sie exhumiert, wie die Körper aus einem Grab.“

Das düstere Bild ist drastisch, aber es wirkt passend. Die Songs auf „Dethroned & Uncrowned“ sind wie die Geister ihrer fleischlichen Existenz auf „Dead End Kings“. Sie sind weniger – im Sinne einer greifbaren Substanz an Metal und Rock – und doch sind sie intensiver. Renkses Stimme tritt deutlicher hervor, weil das ihn tragende Gerüst so viel weniger Material hat. Keine verzerrten Gitarren, kein hämmernder Rhythmus – nur die klare Struktur der Songs und die Lyrics. „Man hört jetzt viel von dem, was zuvor einfach im Lärm des Metal untergegangen ist. Wenn die Originale wie Könige waren, dann haben wir sie vom Thron gerissen und sie auseinander genommen. Wir haben sie entkleidet und das Verborgene zum Vorschein gebracht.“ Eine Metapher, die dieser Tage auf der ganzen Welt mit schwerer Bedeutung nachhallt. „Die ganze Gesellschaft hat ja schließlich Schichten, die sie verbergen will“, sagt Renkse und meint damit auch die Band selbst. Eine Art Demontage des eigenen Außenbildes. Katatonia haben sich in ihrer Geschichte weit entwickelt, sind schon lange keine klassische Metalband mehr, sondern haben sich immer wieder neue Gewänder angezogen. Mit „Dethroned & Uncrowned“ gehen sie nun noch einen Schritt weiter und lassen den Metal nahezu komplett hinter sich. „Das Album ist auch ein Ausdruck für unsere Entwicklung. Es zeigt unsere organische Seite und lässt uns deutlicher eine Aussage treffen. Wir werden das bestimmt nicht mit allen Alben machen, aber für die Liveshow werden wir auch alte Songs umkleiden. Das wird bestimmt ein interessantes Projekt.“ Seine deutschen Fans, meint Renkse, dürfen sich schon mal auf nächstes Jahr freuen, denn dann kommen Katatonia auf Tour und präsentieren der Könige neue Kleider live.

Katatonia – „Dethroned & Uncrowned“

Ursprünglich erschienen im Piranha 09/2013