Musik-Features

Erretter der Musikfans

Idyllisch zwischen den sich sanft wellenden Hügeln Ten-nessees gelegen, ist Franklin ein Örtchen mit viel musika-lischer Präsenz. Zwischen Südstaatenkitsch und Cowboyro-mantik singen hier viele Countrymusiker von der heilen Welt der USA. Doch Franklin, Tennessee  kann auch anders: jung, rockig, frech – Paramore. Hayley Williams ist klein, zierlich und unglaublich agil. Wenn man ihr das erste Mal begegnet, dann fallen einem sofort die roten, zerzausten und asymetrisch in Gesicht hängenden Haare auf, das zuckersüße Lächeln und die leicht ruhelose Art, wie sie mit ihren Füßen wippt. Ihre Stimme macht kleine Hüpfer, wenn sie spricht und ihre Augen funkeln ein wenig widerspenstig bei Fragen, die sie als begrenzend oder vorurteilsvoll ansieht. Die gerade mal 19-Jährige ist die Sängerin der neuen amerikanischen Musiksensation Paramore. Ebenso wie ihre Labelkollegen Panic At The Disco machen Paramore diese neue Art Rockmusik, die alle Schub-laden verweigernd irgendwo zwischen melancholischem Emo, großen Melodien und leichtfüßigen Pop oszilliert und sich nicht einfangen lassen will. Und damit sind Paramore nicht nur in ihrer Heimatstadt Franklin berühmt geworden.

Hier lebt man noch jenseits der großen, weiten Welt. Hier gibt es keine hektischen Meetings, keine Model-Parties und auch kein Sex, Drugs und Rock’n’Roll. In Franklin legt man noch viel wert auf die traditionellen amerikanischen Werte. Dann hier ist man mit Leib und Seele Amerikaner, Christ und Countrymusik-Hörer. Diese typisch amerikanische Kleinstadt liegt nur ca. 20 Minuten vom Country-Mekka Nashville entfernt und hat sich vom musikalische Flair des großen Nachbarn anstecken lassen. Wenn man hier, mitten im sogenannten Bibelgürtel der USA, jung ist und auf Musik steht, dann sind Leute wie Keith Urban nicht weit. Der wohnt nämlich mit Frau Nicole Kidman gleich nebenan. Und sollte man sich tatsächlich gegen Country entscheiden, so ist doch die christliche Prägung so stark, dass man die Stromgitarren oder die elektronischen Beats nutzt, um dem Glauben zu stärken und Satan einen Arschtritt zu verpassen. Hayley kann bei soviel Klischee nur Lachen und meint dazu: „Wir kennen die Leute aus der Christian Music Szene zwar, aber das liegt daran, dass wir teilweise zusammen aufgewachsen sind. Bei uns in Franklin gibt es Country und Christian Music, das ist eben so. Nur, unser Ding war das noch nie, und wir wollten auch nie ein Teil davon sein. Diese Form der Musik war nicht unsere Leidenschaft.“

Während Hayley über ihre Jugend hier in Franklin nachdenkt und an den kleinen bunten Häuschen der historischen Main Street USA vorbeischlendert, wirkt sie wie etwas verloren. Die Emo-Klamotten, rot-schwarz gestreifter Hoodie, enge Stretchjeans und Chucks an den Füßen, wirken hier mitten im Süden der USA wie ein Aufschrei der Rebellion gegen das christliche Vorzeigeideal einer Carrie Underwood, die aus einer Kleinstadt kommend mit ihrem Country-Pop die sechste Staffel American Idol gewann. Auch wenn die Band ähnliche Wurzeln hat, wollen sie doch etwas anderes bewirken, wie Hayley deutlich macht: „Wir sind nun mal hier aufgewachsen. In einer Kleinstadt, sonntags in der Kirche und immer unter diesem Einfluss. Wir haben unsere Meinungen und unseren Glauben hier gefunden – wir alle fünf in der Band. Wir glauben an Jesus Christus, aber das hat nichts mit irgendeiner Form von Kirche zu tun. Das Christentum hat für viele Menschen gleich so eine negative Ausstrahlung. Von außen sieht es so aus, als seien Christen schnell dabei zu richten, aber das wollen wir nicht. Damit stimmen wir nicht überein und deshalb wollen wir auch niemanden dazu zwingen, sich das anzuhören. Wir sind zwar gläubig, aber wir wollen nicht auf der Bühne stehen und predigen. Das wirst du von uns nur erfahren, wenn du uns danach fragst. Wir sind eine Rockband und keine Priester. Die Musik ist unsere Botschaft, nicht der Glaube.“

Sie sieht ernst und fast schon erwachsen aus, während sie über ihre Religion spricht und an einer der mehr als 80 Kirchen in Franklin vorbeigeht, einem Ort, der gerade einmal 42.000 Einwohner zählt. „Als Kind hier im bible belt aufzuwachsen bedeutet nicht unbedingt, dass man sich der Religion zuwenden muss. Im Gegenteil viele junge Menschen sind abgeschreckt von der Strenge und der Kontrolle der Kirchen. Deswegen versuchen wir in unseren Texten eine andere Botschaft rüberzubringen. Selbst in den Songs, in denen es um das Aufgeben oder das Gefühl der Hilflosigkeit geht, ist immer ein Funken Hoffnung zu finden. Um das auszusagen, bedarf es nicht des Christ seins, das kann man mit Musik viel besser. Unser Glaube mag da vielleicht nur ganz leicht durchschimmern, aber es geht mir um hauptsächlich um die Hoffnung in der Verzweiflung.“

Im Listening Room Cafe, ein paar Blocks weiter die Straße runter, ist noch nicht viel los. Aber hier kann man gemütlich sitzen und über das Leben in einer Kleinstadt reden. Abends spielen lokale Künstler in dem kleinen Brownstone-Pub, meistens Songwriter, viele aus der Country-Ecke, und singen über eben dieses Leben. Hayley bestellt eine Cola und erzählt dann von dem, was Paramore auszeichnet und aus dem Einheits-Schwarz der Emo-Szene abhebt: „Wir sind keine Emo-Band, auch wenn das von außen vielleicht so aussieht. Wir mögen diese Bezeichnung nicht.“ Keine Band mag das Label, aber gerade die textliche Nähe zu Herzschmerz, Verlassenwerden, tiefer Unsicherheit in menschlichen Beziehungen – all das verweist doch stark auf eine Nähe zum Genre. „Ok, ja da ist was dran,das lässt sich nicht leugnen,“ erklärt Hayley mit dem besagten Funkeln im Blick, „ aber das entsteht natürlich aus der Situation heraus, wie ich meine Songs schreibe. Ich bin bestimmt nicht die erste Musikerin, die das sagt, zumindest habe ich das von anderen auch schon gelesen. Es ist einfach leichter, aus einem Zustand emotionaler Aufruhr oder Unsicherheit zu schreiben. Wenn die Welt schrecklich zu dir ist, dann fließt die Musik nur so aus dir raus. So ist das halt. Und dann entstehen eben diese Art Texte und Songs.“ Und dann lächelt sie wieder, hat nicht mehr das Gefühl, sich wehren zu müssen. Sie schlendert zur Jukebox, braucht einige Minuten, um durch die CDs zu wühlen und kommt leicht enttäuscht wieder. Kein Song dabei, der ihr gefällt, zu viel Country. „Wir, als Band, sind eher von Indie-Acts beeinflusst worden, so Sachen wie Jimmy Eat World und Death Cab For Cutie. Und natürlich von den großen Popsongs. Daraus entsteht musikalisch das Gemisch, das wir mit Paramore machen. Und es funktioniert. Ich meine, wie toll ist es bitte, wenn man in England auf die Bühne kommt, die Fans einen noch nie zuvor gesehen haben und plötzlich alle deine Songs mitsingen können.“

Sie schlürft die Cola aus und die Sightseeing-Tour durch Franklin kann weitergehen. Diesmal persönlicher, denn ein paar Straßen weiter ist das Haus ihrer Mutter, aus dem Hayley gerade ausgezogen ist. Die erste goldene Schallplatte hat sie mitgenommen und in ihr eigenes Appartment gehängt. Der Erfolg von Paramore kam in den USA nicht gerade über Nacht, denn nach der ersten Platte ging es auf Ochsentour. Im Van, den Hayleys Eltern fuhren, ging es von Staat zu Staat und von einem kleinem Konzertgig zum nächsten: „Oh Gott, das war vielleicht anstrengend,“ plaudert Hayley und rollt dabei mit den Augen, „das ist die wichtigste Zeit in der Entwicklung eines Teenagers. Ich war 15, 16 und hing die ganze Zeit meinen Eltern so dicht auf der Pelle. Wir haben uns fast erdrückt. Erst als wir die zweite Platte aufnahmen und dann in Europa auf Tour waren, in Asien und nochmal in den USA, diesmal ohne meine Eltern, habe ich gelernt, wieder normal mit Ihnen umzugehen. Wenn wir heute nach Hause komme, dann läuft das anders ab. Unsere kleinen Geschwister sind auf einmal 5 cm gewachsen und habe neue Freundinnen. Unsere Freunde gehen auf das College. Alles verändert sich so schnell.“ Der Erfolg hat sie dann doch überrumpelt und ein wenig ausser Atem kommen lassen. Das erste Album All We Know Is Falling war ein Knüller in den USA und auf Riot! verarbeiten Paramore die Erlebnisse und Erfahrungen, die sie damals gemacht haben. Hayley sieht in der Freundschaft unter den Bandmitgliedern die größte Herausforderung des Erfolges: „Die letzten zweieinhalb Jahre auf Tour haben uns total verändert. Wir sind ganz andere Menschen geworden. Und diese Veränderung merkt man auch dem Album an. Das hat aber nichts mit Ausverkauf oder Einfluss des Labels zu tun. Wir sind halt erwachsener geworden – sowohl persönlich, als auch professionell. Ich habe zum Beispiel gelernt, mich in den Songs ehrlicher auszudrücken. Persönlicher zu schreiben und nichts zurück zu halten.“

Das Album ist aber keine Hymne auf den plötzlichen Erfolg. Paramore sind nicht abgehoben, sind keine Shootingstars mit Drogenexzessen und Groupieaffären. Hayley lacht, „Zac vielleicht!“, wird dann aber wieder etwas ernster und meint, „nein, Spaß beiseite. Wir wissen, wie hart wir für diesen Erfolg arbeiten müssen und das in Zukunft nicht immer alles auf dem Silbertablett geliefert werden wird. Es wird nötig sein, sich auch durch harte Zeiten zu kämpfen, zumindest wenn wir erfolgreich Musiker bleiben wollen. Darum geht es auf dem Album, um den harten Kampf die Freundschaft zu erhalten, den Schmerz zu überstehen und sich den Erfolg zu erarbeiten.“

Während Hayley sich auf der Veranda ihrer Mutter niederlässt, den Hoodie über die roten Haare streift und Jacke zuknöpft, weil der kalte Tennessee-Winter sich auch in Franklin breit macht, fällt auf, warum sie sich hier so wohl fühlt. Franklin ist eine typische Kleinstadt in Tennessee. Die Leute gehen zur Kirche, sie hören Countrymusik und sind konservativ. Sie mögen sogar kleinbürgerlich sein und sich vor dem Rock’n’Roll fürchten. Aber hier ist die Welt noch in Ordnung, die globalen Probleme erscheinen Welten entfernt. Familien kümmern sich um ihre Kinder, die Nachbarn bringen sich gegenseitig den selbstgemachten Apfelkuchen vorbei und die Stadtväter erhalten die öffentliche Ordnung. Gut nur, dass Hayley und ihre vier Mitstreiter dann doch nicht ganz so gut in die heile Welt passen und wenigsten das mit der Countrymusik haben bleiben lassen. Ein bisschen Revolution muss auch im Paradies der Gartenzäune und idyllischen Hügel sein.

Ursprünglich erschienen als Titelstory des Piranha 03/2008.