DiverseFantastikKolumnen

Can we talk … some more? Ein Aufruf zum Gespräch

Wenn sich eine große Anzahl von AutorInnen versammelt, dann kann man sicher sein, das eines auf jeden Fall passiert: sie reden viel miteinander – und manchmal auch übereinander oder gegeneinander an. Auf dem Branchentreffen des Phantastik-Autoren-Netzwerks kam es letzte Woche nun, nicht zuletzt wegen des zur Kontroverse neigenden Themas „Gesellschaft und Politik“ zu emotionalen aber erfreulich zivil verlaufenden Diskussionen über Vielfalt und Einschränkungen in der Fantastik. Dass diese nicht mit dem Ende der Veranstaltung verebbten, zeigte sich bald auf Twitter (#PAN18), wo allerdings aufgrund der medialen Einschränkung von 140 Zeichen statt komplexem Diskurs vor allem Plattitüden überwogen.

Was aber war passiert, dass die Daumen glühten und zwischen AutorInnen und BloggerInnen eine solche Debatte entstand? Anstoß war eine Paneldiskussion zur Verantwortung der Fantastik angesichts von Rassismus, Sexismus und Homophobie, dem ich einen Impulsvortrag voranstellen durfte. Im Impuls ging es mir, wie auch vor einem Jahr hier auf Tor-Online darum, ein Bewusstsein für systemische Benachteiligung auch in der deutschen Fantastik zu schaffen – wenn irgend möglich dann sachlich, unaufgeregt und ohne Anklage. Das Panel selbst, das mit Maike Stein, Kathrin Lange und Akram El-Bahay drei AutorInnen aufbot und durch Gudrun Hoffmann-Schönborn als Vertreterin der Blogosphäre und mich für die Wissenschaft abgerundet wurde, konnte ein paar wichtige Perspektiven aufzeigen, bevor auch das Publikum eine Beteiligung an der Diskussion einforderte.

Problematisch – wie immer bei thematisch in diesem Feld liegenden Debatten – ist dabei aber, dass die Beiträge verständlicherweise emotional werden, persönlich gefärbt sind oder durch individuell von Menschen wahrgenommene Angriffe zur Verteidigung vorgebracht werden. So wurde im Laufe der Diskussion einerseits deutlich, dass Gender und Sexualität vom Publikum priorisiert wurden, was unglücklicherweise zwei der PanelistInnen, die sich speziell zu Rassismus äußern wollten aus der Diskussion nahm. Es zeigt aber umso mehr, dass wir ganz leicht unsere deutsche Ethnizität als Norm setzen und die anderen Ethnien hinten anstehen müssen, wenn wir etwas für uns wichtigeres zu diskutieren haben. Das sollte so nicht sein und ich persönlich bedauere die Auslassung sehr.

Vor allem aber, und das spiegelt sich in der sich ans PAN anschließenden Twitter-Explosion, hat eine Frage die Gemüter bewegt. Der Moderator fragte das Panel, ob die Fantastik mehr weibliche Protagonisten bräuchte. Die Frage ist unglücklich verkürzt und trifft nur sehr oberflächlich das eigentlich zu diskutierende Phänomen der gesellschaftlichen und systematischen Benachteiligung von Frauen (und ebenso wichtig LGBTQ-Menschen oder „people of color“). Die Frage war – so glaube ich – als Türöffner gemeint, als Sprungbrett für mögliche sich anschließende Fragen. Aber sie beinhaltet zu viele Ausgrenzungen und ist missverständlich. Das Panel reagierte auf den Türöffner-Mechanismus und formulierte grundsätzlich ein Interesse an mehr Heldinnen, mehr Frauenfiguren, mehr Repräsentation. Auch im Publikum war viel Zuspruch vor allem von weiblicher Seite zu hören, die generell mehr Frauen in der Fantasy wünschen. Dann aber warf ein erfolgreicher und in der Branche hoch geschätzter männlicher Kollege ein, die Frage sei ein „künstlich produziertes Problem“, da ja ausgerechnet in der deutschen Fantasy kaum ein Mangel an weiblichen Hauptfiguren zu attestieren sei. Widerspruch wurde formuliert, teils hoch emotional, oftmals stark persönlich gefärbt und in Teilen über das Ziel hinausschießend. Aber es war genau dieser Aspekt der Debatte, der dann in vielen verzweigten und sehr unterschiedlichen Bereichen geführten Diskussionen auf Twitter abzeichnete – vor allem als ein zweiter, ebenfalls sehr erfolgreicher und geschätzter männlicher Autor dem ersten Kollegen zur Verteidigung zur Seite trat, obwohl der gar nicht anwesend war.

Da Twitter eine komplexe Materie extrem verkürzt und Diskurse in hundertfacher Verschachtelung schwieriger zu verfolgen sind, habe ich den Vorschlag gemacht, die Debatte auf Blogs und Foren der Community zu verlegen, wo genau dieser Artikel mein persönlicher Aufruf zum Dialog sein soll. Deswegen starte ich mit meinen Gedanken – die, wie ich betonen möchte, aus meiner komfortablen Situation des „straight white male“ geschrieben sind. Folgende Aspekte/Punkte der aktuellen Diskussion sind mir wichtig:

Repräsentation in der Fantastik

Das offensichtlichste Thema vorweg, da die Frage nach „mehr weiblichen Protagonisten“ für mich eindeutig zu kurz greift. Es kann keine mathematische Rechnung sein, wie viele Frauen und Mädchen in einem bestimmten Genre als Hauptfiguren auftreten. Ja, ich würde hoffen, dass dies 50% sind, kann aber weder für noch gegen Behauptungen zur reinen Anzahl argumentieren, da diese nur empirisch mit einer arbeitsintensiven Studie für die Gesamtzahl aller (deutscher, fantastischer) Veröffentlichungen zu belegen wären. Und diese Studie gibt es nicht, bezahlt auch keiner für, denn das Ergebnis wäre nur ein erster kleiner Schritt. Wichtiger wäre es, meiner Ansicht nach, die generelle Repräsentanz von Frauen in allen Bereichen und Aspekten der Fantastik zu diskutieren – und zwar vor allem auch qualitativ. Denn es nützt ja nichts, eine Heldin zu haben, die effektiv nur ein Mann ist, dem ein anderes Gender angedichtet wurde. Auch Frauenfiguren, die sich in Klischees ergehen oder die nur eindimensionale Plot-Funktionen erfüllen sind nicht Maßgabe für gute Repräsentation. Und richtig problematisch ist der Umgang in bestimmten Texten mit Frauen: Vergewaltigung, Misogynie, Abfälligkeit. Vielmehr wäre es wünschenswert, Frauen als vielschichtige, runde und mit komplexen Motivationen ausgestattete Figuren von jeglichen Erzähltexten zu sehen, die dort wie auch bei uns in ihrer Gesamtheit die Welt bevölkern.

Dazu kommt, dass man eben auch noch einmal kritisch auf die Funktionen der Branche schauen muss. Es gilt zu hinterfragen, ob Frauen in wichtigen Positionen sitzen und Entscheidungen treffen. Dabei ist auch wichtig, dass wenn dies so ist, auch diese Frauen sich der systemischen Benachteiligung bewusst sind und diese nicht unwissentlich perpetuieren. Ja, im Blogging oder unter Lektoren gibt es viele Frauen in der Branche, aber wie viele Verleger, Aufsichtsräte und Vorsitzende? Statistiken zur exakten Verteilung mag es geben, sind aber hier nicht mein Argument. Wichtig ist mir die Reflexionsfähigkeit sowohl seitens der Männer als auch der erfolgreichen Frauen, nicht selber Vorbewertungen und Privilegien unterbewusst aufrechtzuerhalten und lieber andere Wege zu beschreiten. Dann wären wir auf dem richtigen Weg.

Die Gegenargumente

Ein Problem dieser Art Debatten ist, dass es extrem schwer ist, sich auf sachliche Weise und ohne Angriffe auszutauschen. Vor allem weil beim Zuhörenden leicht Angriffe ausgemacht werden, ohne dass diese beabsichtigt waren. Gerade auf Seiten von Männern, die sich explizit für politische Ziele einsetzen, die sich bemühen und für Repräsentation kämpfen sind schnell argumentativ persönliche Grenzen überschritten. Das Argument „ich habe doch aber…“ – so richtig es im speziellen Fall sein mag – ist in einer systemisch geführten Diskussion aber nicht geeignet eine gesellschaftliche Tendenz zu negieren. Wenn Frauen über ihre Erfahrungen mit Benachteiligung reden, reicht die Aussage eines Mannes, dass ihm diese Behandlung nicht bekannt sei, einfach nicht aus. Zu sehr sind systemische Nachteile bei allen Beteiligten vorhanden, als das hier individuelle Aussagen Bestand haben könnten.

Ich kann den Impuls nachvollziehen, sich aus der extrem unangenehmen Situation heraus bewegen zu wollen, weil eine Anklage an das eigene Privileg schmerzhaft ist. Doch ein Verweis auf eigenes besseres Verhalten oder die Meinung, dass eine Benachteiligung in einem bestimmten Bereich nicht so schlimm oder gar nicht vorhanden sei, ist kontraproduktiv. Sie wertet die Aussagen der Betroffenen ab, stellt diese als weniger wichtig oder falsch dar. Der Hashtag #notallmen ist Beleg dafür, dass Männer sich angegriffen fühlen, wenn Frauen von allgegenwärtiger Benachteiligung und Bedrohung sprechen. Aber selber nicht zu den Bedrohern und Benachteiligern zu gehören, bedeutet auch, aushalten zu müssen, dass Frauen eine solch allgemeine Formulierung treffen, um einen Raum für ihre Stimmen zu generieren. Das muss in seiner Allgemeinheit ok sein, damit weibliche Stimmen gehört und nicht diskreditiert werden, damit Systeme als benachteiligend entlarvt werden können.

Es ist schön, wenn es in der Fantastik tatsächlich bereits jetzt viele weibliche Hauptfiguren gibt, aber dennoch kann ich die Forderung nach mehr und besserer Repräsentation gut nachvollziehen und sie als solche auch so stehen lassen, ohne Relativierungen. Denn die vielschichtigen Frauen auf dieser Welt finden erst dann Ausdruck und Stimme, wenn sie selbst sprechen. Leider reicht es nicht aus, wenn erfolgreiche Männer ihnen eine Stimme „leihen“ und sie ins Zentrum ihrer Geschichten rücken. Repräsentation muss auch auf Seiten der Schaffenden geschehen. Und das gilt für alle Bereiche systemischer Benachteiligung.

Der Verstärker

Als letzten Punkt möchte ich noch mal auf die Twitter-Diskussionen eingehen, in denen vor allem zwei, drei erfolgreiche Kollegen, die ich persönlich und für ihre Arbeit sehr schätze, mit Vehemenz genau die oben genannten Verteidigungen aufgebaut haben. Hier ging es vor allem darum, dass deren Erfahrungen nicht den Tenor der Kritik widerspiegelten, und dass man sich deshalb gegen die Aussagen wehren müsse. Das ist, meiner Ansicht nach umso schmerzlicher, da diese Autoren wirklich zur Speerspitze derer gehören, die sich für Gleichberechtigung einsetzen, sei es durch zentrale Frauenfiguren oder politisches Engagement gegen Rassismus. Ich mag ihre Werke und ich lobe ihre Arbeit für und im Genre und ich gönne ihnen den Erfolg.

Dennoch kann ich nicht verstehen, warum sie ihre Plattform – jeder von ihnen hat mehrere (Zehn)Tausend Fans und Follower, die alle mitlesen und ihre Stichworte hier erhalten – dazu nutzen, die Forderungen von weniger repräsentierten AutorInnen zu negieren. Ich will damit nicht sagen, dass die individuelle Wahrnehmung der Autoren hier nicht stimmt – sie selber werden das genauso empfunden haben. Doch der öffentliche Widerspruch führt dazu, die Debatte zu verlagern oder sie zu verwaschen und vielleicht bei unreflektierten Personen Bestätigung für weitere systemische Benachteiligung zu generieren. Ich finde, eine Pause zum Nachdenken über die eigenen Vorteile und Privilegien kann positive neue Impulse bringen. Sich selbst zu fragen, was an der Position der anderen, mir als Bedrohung oder Angriff vorkommt, kann Erkenntnis generieren. Sich in der eigenen Position zu verschanzen ist bedauerlich, sich komplett aus ihr zu verabschieden ist hinderlich – gerade weil wir berühmte Verstärker brauchen, die Forderungen nach mehr Vielfalt und Repräsentation in die Verlage und zu den LeserInnen tragen.

Ich hoffe darauf, dass viele Stimmen zu Wort kommen und dass dieser Beitrag als Aufruf zu einer Debatte gesehen wird. LeserInnen, AutorInnen, BloggerInnen und VerlegerInnen bitte ich ihre Repliken hier in den Kommentaren zu hinterlassen – als kurzen Kommentar oder mit Link zu euren Seiten. Gerne auch dort dann einen Link zu diesem Text, so dass wir vielleicht bald ein Netz aus Seiten haben, auf denen wir über das Thema ausführlich diskutieren können.  Danke.

 

Ursprünglich erschienen auf TOR ONLINE am 24.04.2018