Lovecraft und die Vorurteile
Es muss ein seltsames Gefühl für AutorInnen wie Nnedi Okorafor oder Sofia Samatar sein, wenn sie auf ihren World Fantasy Award schauen und in das Gesicht von H. P. Lovecraft blicken. Denn Lovecraft, der Anfang des 20. Jahrhunderts in Providence, Rhode Island lebte und schrieb war nicht nur ein begnadeter Horror-Autor, sondern leider auch rassistisch, frauenfeindlich und anti-semitisch veranlagt. Afro-amerikanische Autorinnen dürften sich also gleich doppelt an Diskriminierungen erinnert fühlen beim Anblick des „Howard“, wie der Preis mit Spitznamen heißt.
Angestoßen durch eine Petition wurde die Büste des Autors, die zwischen 1975 und 2015 als Preis vergeben wurde, nun durch eine neue Trophäe ersetzt: eine goldene Scheibe gehalten von einem alten, verschlungenen Baum. Doch diese Entscheidung traf nicht überall auf Verständnis, da der Preis ja nicht die historische Person Lovecrafts ehrte, sondern vielmehr dessen künstlerische Leistung zum Anlass nimmt, die besten Werke der Fantastik zu ehren. Auch würde ein Austausch schnell als Überdecken eines Problems interpretiert werden können. Okorafor etwa schrieb auf ihrem Blog, sie würde sich eine Auseinandersetzung mit „diesem Teil der Geschichte der Literatur“ wünschen und nicht deren Verschweigen. Sie warnt, dass es wichtig sei, sich als unterdrückte AutorIn daran abzuarbeiten, dass „viele der Ahnen, die wir ehren und von denen wir lernen müssen, uns hassen oder gehasst haben“.
Literarisches Erbe
Noch größer jedoch war der Protest an der Entscheidung gegen den „Howard“ bei Literaturwissenschaftler und Lovecraft-Biograf S. T. Joshi, der selbst indisch-amerikanischer Abstammung ist und die Petition als fehlgeleiteten Kreuzzug für vermeintliche Political Correctness sieht. In persönlichen Blogeinträgen wehrt sich Joshi gegen die Abwertung von Lovecrafts literarischem Erbe aufgrund seiner persönlichen Charakterzüge und fehlgeleiteter Überzeugungen, die – und das sei hier auch erwähnt – bereits seit Jahrzehnten bekannt sind und bislang nicht zu Protesten geführt hatten. Joshi verweist darauf, dass das Werk Lovecrafts zu wichtig und zu einflussreich sei, und dass der Autor eben sehr viele und oft auch widersprüchliche Facetten habe.
Und tatsächlich ist es ja so, dass Lovecrafts Geschichten unbestritten einen starken Einfluss auf den heutigen Horror-Markt haben. Die Schöpfungen des Autors aus Providence haben unsere Populärkultur erobert und sind schwer aus dem Genre wegzudenken. Die Größen des Horror, von Stephen King bis Guillermo del Toro, lassen sich bei Lovecraft inspirieren und das schreckliche Gefühl als Mensch nur ein kleiner Staubfleck im riesigen Kosmos zu sein, buchstäblich wie metaphorisch, ist heute angesichts von wissenschaftlichen wie gesellschaftlichen Entwicklungen so treffend wie nie zuvor. Warum also sollte man diesen Einfluss schmälern wollen, in dem man den World Fantasy Award verändert?
Das Schlechte im guten Autor
Das Problem ist, dass auch AutorInnen nicht davor gefeit sind, sich falsch oder gar gänzlich abscheulich zu verhalten – Orson Scott Cards Homophobie, Marion Zimmer Bradley und der Vorwurf des Kindesmissbrauch, oder Hans-Heinz Ewers zeitweise Nähe zum Faschismus lassen sich nicht einfach ausblenden, nur weil man die Werke der AutorInnen mag. Und es ist eben grundlegend unbestritten, dass Lovecraft ein Rassist war; sein Werk „On the Creation of Niggers“ etwa kann auf Okorafors Blog nachgelesen werden. Michel Houellebecq geht in seiner Studie zu Lovecraft (Gegen die Welt, gegen das Leben; Rowohlt 2007) davon aus, dass sich ein für die Zeit üblicher rassistischer Elitismus aufgrund persönlicher Ängste und privater Rückschläge bei Lovecraft zu einem ausgeprägten und existenziellem Hass verstärkt hat. Seine fiktionale Auseinandersetzung mit der Unreinheit und Degeneration des Menschen habe sich davon angefacht entwickelt, ebenso wie der Wunsch nach Zerstörung dieses unwerten Lebens, der sich in den Großen Alten und deren kosmischem Horror manifestiert.
Wenn wir AutorIn und Werk gleichsetzen und das eine für die Taten der anderen verurteilen, dann geht uns etwas verloren. Hat doch die Geschichte um Ender Wiggins, der vom Militär schamlos ausgebeutet und ohne sein Wissen zum Massenmord getrieben wird, eine wichtige Botschaft zum ethischen Handeln. Und der feministisch befreiende Einfluss einer alternativ-mythologischen Geschichte wie der Nebel von Avalon sollte nachfolgenden Generationen junger Frauen auch nicht vorenthalten werden. Dafür sind die Werke als solche zu wichtig und wertvoll. Wie also geht man dann mit Werk und AutorIn um, wenn letztere fragwürdige Ideologien verfolgen oder sich scheußlich verhalten?
Umgang mit der Kritik
In Hinsicht auf Lovecraft – und übertragbar auf andere Konflikt- oder Problemstoffe – fordern Literaturwissenschaftler wie Carl Sederholm und Jeffrey Weinstock eine stärkere Auseinandersetzung mit der Frage des Rassismus und dessen Einfluss auf das Werk des Autors. Hierbei sollte eben nicht, wie von Joshi argumentiert, zwischen Person und Werk unterschieden werden (The Age of Lovecraft; University of Minnesota Press, 2016). Vielmehr muss es einer kritischen Haltung darum gehen, die Verbindungen von Biografie und literarischem Schaffen herauszuarbeiten. Für Leser sollte es darum gehen, Lovecrafts Werk vielschichtig beurteilen zu können, seinen Rassismus einerseits zu erkennen, diesen aber andererseits nicht als einzig mögliche Lesart zu sehen.
Eine mögliche Hilfestellung für diesen Akt doppelten Lesens und Verstehens findet sich in editierten Ausgaben, die dank eines literarischen Kontextes die AutorIn aus verschiedenen Perspektiven vorstellen und das Werk zu entschlüsseln helfen. Gerade bei historischen Texten sind LeserInnen heutzutage die Bedeutung bestimmter Passagen oder Wortwahlen vielleicht nicht vollständig bewusst. In Sachen Lovecraft kann hier die neue Werkausgabe Abhilfe schaffen, die von Leslie Klinger editiert wurde und die im September bei Fischer Tor erscheinen wird. Neben ergänzenden Texten wie Vorwort, Biografie und Einführung besteht der Nutzen einer solchen Ausgabe vor allem in den erklärenden Notizen am Rand der jeweiligen Geschichten, die Formulierungen erläutern oder Bezüge zu Leben und anderen Werken des Autors beleuchten. Für interessierte LeserInnen wird hier ein Bild von Lovecraft deutlich, dass ihn sowohl als brillanten Autor zeigt, als auch als einen zutiefst unsicheren und kranken Mann, dessen Ängste seine Ideologie bestimmen. Auf diese Weise kann man mit dem Widerspruch umgehen lernen, und vielleicht hoffen, wie Nnedi Okorafor es tut, dass sich in Lovecraft nach dessen Tod das Gift des Hasses aus seinen Gedanken gelöst hat und ihm nun in Geisterform seine Fehler bewusst geworden sind.
Ursprünglich erschienen auf TOR ONLINE am 25.09.2017