Whitewashing: Menschen wie du und ich
Eine Twitter-Nachricht, eine Pressemitteilung und schon war Ed Skrein ein Held für weite Teile des Internets und der asiatisch-amerikanischen Comic-Fan-Community. Ed hatte für die Neuverfilmung der Comic-Reihe Hellboy die Rolle des Ben Daimio angenommen und nach Hinweisen der Fans wieder abgegeben, unter Verweis auf die ethnische Herkunft des Charakters. Als Nicht-Initiierter mag man sich fragen, wer Ed Skrein ist und warum es denn ein Problem darstellt, dass Ed einen Halb-Japaner spielen sollte?
Die erste Frage ist leicht: Ed war u.a. als Daario Naharis in Game of Thrones und als Ajax in Deadpool zu sehen. Und Ed ist Brite, weiß, und kein Japaner. Die zweite Frage ist als Frage nur dann nachvollziehbar, wenn man zu einer dominanten Ethnie gehört und aufgrund von Hautfarbe, kulturellem Hintergrund oder anderen Kriterien noch nie ein Problem hatte, sich selbst in seinem Fandom wiederzufinden. Doch für, sagen wir mal, Amerikaner japanischer oder koreanischer Herkunft ist es keine Frage sondern eine tägliche Realität, dass sie in Hollywood nicht repräsentiert sind und japanische oder koreanische Rollen statt dessen von weißen Schauspielern übernommen werden. Andere Kulturkreise werden in den USA (aber auch bei uns in Europa/Deutschland) an ‚unsere’ Erwartungen angepasst. Diesen Vorgang nennt man etwas umgangssprachlich und in bestem Denglisch „Whitewashing“.
Whitewashing in Hollywood
Wenn Scarlett Johansson mit ihrem skandinavischen Äußeren in Ghost in the Shell die japanische Cyborg-Ikone Major Motoko Kusanagi spielt oder die Britin Tilda Swinton den aus dem Himalaya stammenden Mystiker „Der Älteste“, dann ist dies ein „Weißwaschen“ und Europäisieren von asiatischen Charakteren. Dabei nutzen die Produzenten klar den Exotizismus bestimmter Vorlagen als Reiz fürs Publikum, ohne aber wirklich der Ursprungskultur dieser Geschichten und Figuren gerecht zu werden. Ähnliches geschieht durch die Adaption fremdartiger (aber exotisch faszinierender) Stoffe für die dominante ethnische Orientierung eines Landes. Man will die Geschichte vermitteln aber keinesfalls dem Publikum fremde Assoziationsfiguren zumuten. So ist das Manga Death Note stark im Shintoismus verankert und damit untrennbar mit der japanischen Kultur verbunden, wurde aber von Netflix für eine Verfilmung nach Seattle verlagert. Die japanische Hauptfigur wurde einfach durch einen weißen Amerikaner ersetzt.
Das verletzende Spiel mit dem kulturellen Erbe und der Repräsentation von Minderheiten ist aber auch bei uns in Deutschland nicht unbekannt. Zwar produzieren wir selten Blockbuster-Filme, aber auf Buchcovern zum Beispiel werden Protagonisten schnell zu für Deutsche leichter verdaulichen Figuren. Anders lässt sich wohl auch Blanvalets Entscheidung nicht erklären, ausgerechnet bei der für ihre vielseitigen Darstellungen von Ethnien berühmten und viel gelobten Fantasy-Autorin N. K. Jemisin ein solches Whitewashing zu betreiben. Die Romane der Erbe der Götter-Reihe (im Original die Inheritance-Trilogie) zeigen allesamt weiße, blonde Frauenfiguren. Und das obwohl es Jemisin ausdrücklich darum geht, die Fantasy mit variablen und spannenden Ethnien zu bereichern und so für andere Lesergruppen zu erschließen. Yeine Darr (die Hauptfigur des ersten Bandes) etwa stammt von zwei verschiedenen Volksgruppen ab und vereint (in uns verständlichen Beschreibungen) kontinentalasiatische und nordeuropäische Herkunft. Und Oree Shoth (aus dem zweiten Band) gehört einer Ethnie an, die aus unserer Sicht am ehesten als schwarzafrikanisch beschrieben werden kann – das Cover zu Die Gefährtin des Lichts aber zeigt eine weiße Frau mit blonden Locken.
Aber warum nur…?
Die Begründungen für solche geweißten Kulturprodukte sind meist hilflos – Tilda Swinton etwa faselte was von einer besseren Neuinterpretation gegenüber dem rassistischen Fu Manchu-Klischee des weisen Ratgebers – oder beziehen sich auf Marketing und Verkaufszahlen. Angeblich verkaufen sich Star-Produktionen mit Scarlett und Co. eben besser. Doch die tatsächlichen Zahlen belegen etwas Anderes: das Remake von Ghost in the Shell wird vermutlich einen Verlust von 60 Millionen Dollar einfahren, während das Original-Anime weiterhin als Kultklassiker gilt. Und wer sich an Prince of Persia – Der Sand der Zeit oder Die Legende von Aang (basierend auf Avatar – Der Herr der Elemente) zurückerinnert, der weiß, dass Ghost ganz bestimmt keine Ausnahme ist. Eine fremde Kultur einfach zu ignorieren zahlt sich nicht aus, buchstäblich.
Natürlich gibt es eine Theorie, die Blanvalets Cover mit weißen Blondinen erklären könnte, aber sie ist nicht leicht zu verdauen: Wir weißen Deutschen (Briten, Amerikaner, Franzosen etc.) sind mit einem alltäglichen Rassismus aufgewachsen, der uns – ohne unser aktives Zutun – blind für unsere eigene Ethnie macht. Wann auch immer wir in Geschichten Helden begegnet sind, die nicht explizit beschrieben wurden, so waren diese für uns so wie wir. Menschen wie du und ich eben. Das ist ja gerade der Punkt von solchen Geschichten: wir sollen uns wiedererkennen, damit die Helden als Vorbilder funktionieren. Und in unserer Geschichte sind alle wichtigen Figuren natürlich immer schon weiß gewesen – von Jesus bis Captain America, ist doch klar. Und das haben wir so oft gelesen, gesehen oder gespielt, dass es für uns zum Standard geworden ist – wir denken nicht darüber nach, wenn eine Hauptfigur beschrieben wird, weil Hauptfiguren normalerweise für unsere Identifikation gedacht sind. Wir sind weiß, also identifizieren wir uns mit weißen Figuren.
Wir sind nicht die einzige Kultur, die das so macht. In Japan werden Anime-Figuren (wie Major Kusanagi) nicht explizit mit für Europäer identifizierbaren „japanischen Kennzeichen“ beschrieben – warum auch, der Standard für Protagonisten ist in Japan eine japanische Figur. Ohne Kennzeichen bedeutet in Japan japanisch und in Deutschland deutsch. Darum behauptet Scarlett, dass der Cyborg-Major nicht japanisch aussehe und sich jedes beliebigen Körpers bedienen könne. Und das erklärt dann auch, warum eine Cover-Gestaltung in Deutschland automatisch davon ausgeht, dass eine Fantasy-Romanheldin weiße Haut und blonde Haare haben muss. Das ist unglaublich ignorant gegenüber dem kulturellen Hintergrund, aber es passiert uns allen (d.h. uns weißen Europäern) ganz schnell. Es passiert uns bei Ethnien, bei Genderrollen, bei jeglicher Form von gesellschaftlich geprägten Erwartungen … und wer das nicht glaubt, der möge Colson Whiteheads Zone One oder Joanna Russ’ „Als alles anders wurde“ lesen und sich selbst ertappen.
Ed Skrein jedenfalls, der einen Halbjapaner spielen sollte, hat die Problematik erkannt und darauf verzichtet, diesen Charakter weiß zu waschen. Es wäre schön, wenn Hollywood ganz allgemein das Potential erkennen würde, andere Ethnien als Teil der Welt zu repräsentieren. Je mehr Geschichten wir lesen, in denen unterschiedliche und „andersartige“ Menschen die Helden sind, desto eher erkennen wir vielleicht auch, dass Hautfarbe, Geschlecht, Religion und all die anderen Konzepte uns nicht trennen, sondern nur vielseitiger machen. Vielleicht lernen wir dann alle irgendwann, dass ‚fremd’ nicht ‚problematisch’ sondern ‚bereichernd’ bedeutet.
Ursprünglich erschienen auf TOR ONLINE am 19.09.2017