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Erinnerungskultur – wie uns der Horrorfilm unsere Nazi-Vergangenheit nicht vergessen lässt

In der amerikanischen Unterhaltungsindustrie gelten Nazis als Allzweckbösewichte. Neben Zombies und Aliens sind es vor allem Nazis in ihren schwarzen und braunen Uniformen, die zu Gewaltorgien einladen und dabei durch zelebriertes Ableben dem Publikum das urdeutsche Gefühl der Schadenfreude vermitteln. Von Castle Wolfenstein bis Inglourious Basterds, von Indiana Jones bis Iron Sky– deutscher Nationalsozialismus ist universell gültiges Chiffre für das Böse, das Schlechte, das Grauen (und manchmal auch das Lächerliche, denn es ist leichter über das Grauen zu lachen, als es ernst zu nehmen). Und es galt lange Zeit – inspiriert von Comicfiguren wie Captain America und Superman oder wundervoll amüsant demonstriert im Kultklassiker Blues Brothers – als guter Stil und richtige Handlungsweise einen jeden Nazi direkt zu konfrontieren (hier US-Neonazi Richard Spencer. Doch die Zeiten ändern sich, in den USA wie in Deutschland.

Internationale Vorbilder

Denn je mehr wir Nazis mit Klischees belegen, sie in Comics und Filmen zu Grotesken überzeichnen oder zu Nazi-Zombies (Dead Snow, Frankenstein’s Army) oder Supersoldaten (Hell Boy, Captain America: The First Avenger) hochstilisieren, desto weniger erkennen wir sie im realen politischen Leben noch als Bedrohung. Mit verheerenden Folgen, wenn in der deutschen Parteienlandschaft Debatten um Kriegsschuld, die Ehre der Wehrmacht, oder die Bedeutung von Begriffen wie „völkisch“ geführt werden, wenn Geschichtsrevisionismus und Holocaust-Leugnung wieder möglich sind und von gewählten Parlamentariern vertreten werden. Vielleicht haben wir verlernt die Gräuel des Nationalsozialismus als realen Schrecken in unserem Leben zu erkennen? Dabei gäbe es dank der Fantastik doch die Möglichkeit durch Verfremdung (etwa im Horrorfilm) diesen dort neu zu entdecken, wo wir sonst gerne darüber hinwegschauen. Ein paar Beispiele:

Als Klassiker amerikanischer Machart sei hier auf Bryan Singers Frühwerk Der Musterschüler von 1998 verwiesen, der auf brillante Weise zeigt, wie verführerisch die Ideologie und der faschistoide Apparat der Nazis auch heute noch sein kann. Der Film, basierend auf Stephen Kings gleichnamiger Kurzgeschichte, zeigt die Faszination, die Gewalt und Macht ausüben und wendet diese gegen einen in der amerikanischen Überflussgesellschaft unterforderten Jugendlichen. Sehenswert, nicht nur, weil Ian McKellen erschreckend schnell vom harmlosen Nachbarn zum brutalen SS-Offizier mutiert.

Deutscher Horrorfilm

Doch auch der deutsche Horrorfilm kann seit einigen Jahren seinem Publikum subtile Botschaften gegen die rechte Gesinnung vermitteln. Dabei setzen aktuelle Filme weit weniger auf Nazis als offensichtliche Feindbilder, sondern entlarven eher, wie stark die vergessen geglaubte Vergangenheit noch in der Gesellschaft Widerhall findet und wie schnell das rechte Gedankengut zurück an die Oberfläche gerät. Ein gutes Beispiel dieser Art des „historisch Unheimlichen“ ist der Film Anatomie (2000) von Stefan Ruzowitzky, in dem Franka Potente als Medizin-Studentin einer Geheimloge auf die Spur kommt, die sich mit unmoralischen und tödlichen Experimenten für medizinischen Fortschritt einsetzt. Dabei nutzt der Film deutliche Verweise auf Josef Mengele und dessen genetische Studien in den Konzentrationslagern, um eine historische Linie zu ziehen, die man bis hin zur Verschwiegenheitskultur heutiger Universitätskliniken und zur Profitorientierung von Pharmaunternehmen verfolgen kann. Auch nicht ohne gesellschaftliche Relevanz bleibt das filmisch-visuelle Aufgreifen der Körperwelten-Ausstellung des wissenschaftlich stark umstrittenen Gunter von Hagens und dessen Beschaffung von „Freiwilligen“ für die Plastination zum medizinischen Lehrzweck. Der Film macht damit deutlich, wie schnell eine Einteilung in Menschen erster und zweiter Klasse möglich ist, wenn man ethische Bedenken für Fortschritt, Erfolg oder Profit verdrängt.

Im Debüt des schweizerischen Regisseurs Tim Fehlbaum, dem post-apokalyptischen Horrorfilm Hell (2011), findet sich auf ähnliche Weise ein Bezug zu den perfiden Ideologien, die das Nazi-Regime genutzt hat, um ihre Gräuel zu rechtfertigen. Ausgehend von einer lebensfeindlichen Umwelt – dank Klimawandel ist die Natur völlig ausgedörrt – zielt der Film auf die Frage danach, was wir bereit sind zu tun, um zu überleben. Die Hauptfiguren begegnen im bayerischen Idyll eines Bauernhofs einer brutalen Familie, die ihren menschenverachtende Kannibalismus damit rechtfertigt, dass Hof und Sippe nur mit extremer Gewalt zu erhalten sind. Was hier im Film eindrücklich inszeniert ist, ist nicht die hinterwäldlerische Ignoranz und Degeneration, mit der US-Filme wie das Texanische Kettensägenmassaker ihre Morde rechtfertigen. Vielmehr entspringt die Rechtfertigung für die menschliche „Viehhaltung“, den Kannibalismus und die Suche nach gebärfähigen Frauen einer kranken Blut-und-Boden-Ideologie, wie sie von den Nazis gebraucht wurde, um territoriale Expansion oder die Entmenschlichung nicht sesshafter Bevölkerungs­gruppen zu erklären. Vom Erbhof bis zum Lebensborn – in Hell finden sich einige Konzepte, die man lange vergessen glaubte wieder. Kommt es hart auf hart, so der Film, dann sind Familien- und Lebenserhalt eben wichtiger als die Menschwürde.

Noch subtiler lässt sich die Kritik am Nationalsozialismus als lebensfeindlicher Ideologie in Huan Vus Film Die Farbe (2010) erkennen. Der Film basiert eigentlich auf der Kurzgeschichte „Die Farbe aus dem All“ von H. P. Lovecraft (selbst nicht unproblematisch bzgl. Rassismus), versetzt die Handlung aber nach Deutschland und in direkte Nähe zum zweiten Weltkrieg. Die unerklärliche, alles Leben vernichtende Farbe rauscht urplötzlich in den 1930er Jahren in die deutsche Idylle und beginnt dort ihren alles korrumpierenden Einfluss zu nehmen. Sie saugt alles Leben in sich auf, verdörrt einen ganzen Landstrich und kann erst mit Hilfe der amerikanischen Befreier wieder vertrieben werden – aber ob dies vollends gelungen ist, das bleibt offen. Die Hauptfigur jedenfalls, ein Bauer und späterer Wehrmachtssoldat, ist sein Leben lang von der Farbe fasziniert und am Ende des Films erstaunlich lebendig, wo doch alle seine Nachbarn der Farbe zum Opfer fielen – nur die Schuldgefühle wird er nicht los. Was das mit dem Nationalsozialismus zu tun hat, davon kann sich jeder selbst ein Bild machen. Zwar können alle Filme mit einem Nazi-kritischen Subtext gelesen werden, doch ist diese Lesart keinesfalls ein MUSS … einen Blick wert sind die Filme aber allemal.

Ursprünglich erschienen auf TOR ONLINE am 23.10.2017