Die weiße Leinwand
Was macht man, wenn man keinen Bock mehr auf den eigenen Sound hat? Na klar, einfach mal den Bandnamen wechseln und mit neuem Elan die Kreativität sprudeln lassen, so wie And Then She Came es getan haben.
„Wir haben bei Krypteria nie den Stecker gezogen, sondern eher die Pausentaste gedrückt“, erklärt Drummer Michael Kuschnerus. „Aber wir brennen jetzt seit vier Jahren brutal für And Then She Came und unsere ganze Energie fließt in diese Band, da wollen wir uns mit Krypteria aktuell zugegebenermaßen nicht wirklich befassen.“ Die neue Band, deren Debüt 2016 erschien und die nun mit „Kaosystematiq“ ihre zweites Werk vorlegt, repräsentiert für die Aachener Musiker um Sängerin Ji-In Cho eine Befreiung aus dem Metal-Korsett. Ihren neuen Sound, der auf dem Album wunderbar vielseitig und wandelbar daherkommt, nennen sie selbst einfach nur Modern Rock: „Schön schwammig, diese Stilbeschreibung, nicht?“ lacht Kuschnerus, „Metal erschien uns als zu enge Jacke für unseren Sound, und wenn man sagt, man mache Pop, gucken alle gleich immer so böse… Vielleicht war das auch als Vorwarnung für all diejenigen gedacht, die mit Krypteria-Musik gerechnet hatten?“
Auf „Kaosystematiq“ jedenfalls experimentieren ATSC noch mehr mit Stilen, mal klingt doch ein wenig der Bombast durch, dann wieder ist der Sound runtergebrochen und minimalistisch. Die Widersprüche des Albums sind dabei gewollt, um sich selbst möglichst große Freiheit zu gewähren: „Jeder Neuanfang ist wie ein Start bei Null, eine weiße Leinwand. Kein Rahmen ist vorgegeben, so dass man seiner Kreativität freien Lauf lassen kann. Und das nutzen wir bei And Then She Came gnadenlos aus. Auf dem neuen Album haben wir den Pinsel in noch buntere Farbtöpfe gesteckt und auf der Leinwand wie wild geschwungen.“ Kuschnerus ist die unbändige Freude am Album anzuhören, der Wille etwas Neues zu schaffen dringt aus jedem Satz: „Klar, der Grund dafür ist der Spaß an der Freude. Wir haben uns keinerlei Vorgaben gesetzt, außer, dass es uns gefallen muss, dass wir Spaß haben, die neuen Songs zu spielen. Und das haben wir, das kann ich Dir versprechen! Das Grinsen auf unseren Gesichtern beim Einproben der ‚Kaosystematiq’-Titel hätte breiter nicht sein können.“
Und so rocken sich die vier Musiker durch eine ganze Menge verschiedern Stilrichtungen und Sounds-Strukturen. Und sie brechen mit den Erwartungen, zumindest denen ihrer Krypteria-Fans. Doch bisher scheint die Rechnung aufzugehen, wie Kuschnerus zu versichern weiß: „Naja, der Leinwandansatz führt ja fast zwangsläufig dazu, dass man sich ordentlich austobt. Natürlich hoffen wir, dass wir nicht die einzigen vier Menschen auf der Welt sind, denen das kreative Gebräu, das es nun auf die Ohren gibt, gefällt. Aber da uns sowohl unser Frisör, unser Voodoopriester und unsere Erziehungsberechtigten versichert haben, dass sie es ganz toll finden, was wir machen, kann ja kaum noch etwas schiefgehen, oder? Oder?!“
And Then She Came – „Kaosystematiq“
Ursprünglich erschienen im Piranha 09/2018