Zurück zu Hause
Wer als 16-Jähriger schon mit Erfolg eine Band gründet, der ist mit 21 schon ein alter Hase im Geschäft und freut sich über eine Pause im Tourzirkus. So wie Sam Carter, der Sänger der britischen Emocore-Band Architects, der mal wieder ein paar Tage im Elternhaus verbringt.
„Mann, es tut so gut, endlich mal ein paar Wochen frei zu haben und über die Weihnachtstage zu Hause zu sein. Das kommt selten genug vor“, erzählt Sam Carter fröhlich Ende des letzten Jahres im südenglischen Brighton. Er hat die Arbeit am vierten regulären Album seiner Band abgeschlossen und erledigt nun noch einige Promotermine bevor er sich voll auf die Feiertage stürzt. „Wir sind Arbeitstiere und haben unglaublich viel Zeit auf Tour verbracht. Ständig im Van unterwegs, auf der Couch bei Leuten schlafen. Das macht auf Dauer echt fertig“, fährt Sam fort und bezieht sich auf eine gerade abgeschlossene US-Tour mit Atreyu. Dabei müssten Van und Couch bei all dem Erfolg in UK doch gar nicht mehr sein, schließlich galten die vertrackten Mathcore-Melodien ihrer ersten Alben doch als britische Underground-Kracher. „In UK mag das angehen, aber in den USA sind wir noch unbekannt. Und wir haben den Sound ja auch verändert. The Here and Now ist genau das, was der Titel verspricht. Eine Momentaufnahme, wo wir uns gerade befinden.“ Und das ist klar nicht mehr bei möglichst komplexen musikalischen Verrenkungen, sondern im harten, dramatischen aber eben eindeutig zugänglicheren Emocore. „Wir sind halt erwachsen geworden und haben es nicht mehr nötig, die Leute möglichst effektiv vor den Kopf zu stoßen und uns von allen anderen durch Mathcore abzugrenzen. Wir wollten für das neue Album einfach nur die beste Musik spielen, die uns möglich war. Sie sollte unsere Entwicklung repräsentieren.“ Sam klingt wie ein Veteran des Musikbusiness und man kann leicht vergessen, dass er eigentlich noch ein Jungspund ist und mit gerade mal 21 Jahren bereits auf diverse erfolgreiche Veröffentlichungen zurück blicken kann. Mit The Here and Nowmag nun auch in den USA und bei uns in Deutschland der UK-Erfolg nachziehen, denn das Album verbindet wunderbar die Shouts, harten Riffs und Drums des Metalcore mit neu gefundener Melodieführung, emo-tauglichen Gesangseinlagen und einem absolut clubtauglichem Drive. Dabei grenzt es an ein Wunder, dass das Album überhaupt entstehen konnte, denn die Architects standen schon kurz vor der Auflösung: „Klingt dramatisch, aber wir waren total von einander angekotzt. Alle hatten keinen Bock mehr. Du hast ja keinerlei Privatleben auf Tour. Und wenn du mit fünf Mann im Van für Tage und Wochen eingesperrt bist, dann ist der Geruch das geringste Übel, wirklich.“ Nachdem die dicke Luft des Tourens aber verflogen war, besann man sich auf das ‚Hier und Jetzt‘ und das Ergebnis in Form des neuen Albums kann sich sehen lassen. Und nach einigen Tagen zu Hause bei Muttern geht es den Jungs jetzt wieder besser. „Ich glaube, demnächst schmeißt sie mich sowieso raus, weil ich so stinkfaul bin. Letzt‘ sollte ich sogar die Wäsche machen. Wird Zeit, dass wir wieder auf Tour kommen.“
Ursprünglich erschienen in Piranha 03/2011.