Viel Feind, viel Ehr!
Superman hat einen, Spiderman hat einen, George Bush hat mindestens einen und die Katze vor meiner Haustür auch. Nur ich nicht. Ich habe keinen Feind, zumindest nicht, dass es mir bisher aufgefallen wäre. Mir passieren zwar ständig die beschissensten Dinge, doch eine böswillige Absicht konnte ich dahinter noch nicht entdecken. Das wäre ja auch zu schön, oder? Der Bus fährt mir vor der Nase weg, weil der Busfahrer einen Racheeid für die Schändung seiner kleinen Schwester geleistet hat. Oder der Autofahrer vor mir bremst im eiskalten Kalkül bei grüner Ampel, um mich durch Arbeitsunfähigkeit als Konkurrenten in der Firma auszuschalten. Nein, leider nicht. Mir kacken die Leute einfach nur aus Ignoranz an den Koffer. Weil ich Idiot zur falschen Zeit am falschen Ort war: mein Fehler. Kein Feind, kein Ehr. Alles purer Zufall.
In Geschichten funktioniert das ganz anders. Da wird heimlich intrigiert und gemeuchelt und mit Herzblut bekriegt. Da hat jedes Übel immer eine Ursache im Willen des Feindes. Für jeden ernstzunehmenden Helden bedarf es eines mindestens genauso entschlossenen Feindes. Achilles und Hector, Othello und Iago, Captain Ahab und Moby Dick, Tom und Jerry. Vom Heldenmythos bis zum Kindercomic – überall wimmelt es von Feindschaften. In historischer Sicht gilt natürlich dasselbe. Noch bis in die 50er Jahre hinein galten Deutschland und Frankreich als Erzfeinde und bis zur Wende waren sich Kommunisten und Kapitalisten spinnefeind. Mittlerweile ist die Situation grotesk geworden, alte Feinde sind neue Freunde und in China gibt es den kommunistischen Kapitalismus. Da verwundert es kaum, wenn uns die Feinde ausgehen. Aber das ist ja auch gut so, oder nicht? Vielleicht nicht so gut, wie man auf den ersten Blick meinen könnte. Ich habe da eine gewagte Theorie. Wir brauchen Feinde. Ganz dringend sogar.
M. Night Shyamalan hat in seinem Film Unbreakable versucht genau diese These zu ergründen. Der Film stellt die Frage nach dem Verhältnis von Bösewicht und Held. Salopp formuliert könnte man sagen, ohne Schurken gibt es auch keine Helden. Das ist wie mit dem Licht und der Dunkelheit und so. Im Film bringt es der Bösewicht auf den Punkt: „Jetzt wo wir wissen, wer du bist, weiß ich endlich, wer ich bin. Ich bin kein Fehler.“ Selbstfindung im Angesicht des Gegners. Wir brauchen also Feinde, um uns selber zu erkennen und über uns hinauswachsen zu können. Umgekehrt klappt das auch, denn wer Großes vollbringen will, der stößt immer auf die Mißgunst der Anderen. Oscar Wilde hat behauptet, dass man um wirklich beliebt zu sein, ein ziemlich mittelmäßiger Mensch sein müsste, denn „Jeder Erfolg, den man erzielt, schafft einen Feind.“ Das beste Beispiel dieses Wechselspiels ist wohl die derzeitige Misere bei der NASA. Bis zum Ende des Kalten Krieges hatten die Spacecowboys ein immenses Budget für ihre Forschung zur Verfügung, dem Militär sei dank. Neue Techniken wurden mit Priorität entwickelt, um dem verhassten Erzfeind in Moskau eins auszuwischen. Doch dann: Perestroyka und aus die Maus. Der Geldhahn versiegt und was übrig bleibt vom einstigen Star Wars Imperium ist ein Haufen fliegendes Altmetall. So stimulierend kann eine Feindschaft sein.
Auf einem persönlichen Level könnten uns Feinde also dabei helfen besser Menschen zu werden und mehr zu leisten. Unsere Gesellschaft ist oberflächlich und ignorant geworden. Das Bekenntnis zu einer Feindschaft dagegen ist intensiv und bedarf eines komplexen Studiums. Der chinesische General Sun Tzu hat vor 2500 Jahren in seinem epochalen Werk Die Kunst des Krieges geschrieben: „Wenn Du Deinen Feind kennst und dich selbst kennst, brauchst du das Ergebnis von 100 Schlachten nicht zu fürchten.“ Zieht man mal das metaphorische Geschwafel zum Beeindrucken irgendwelcher Könige ab, bleibt auf die heutige Zeit bezogen nur die Erkenntnis, dass wir uns nicht genug Zeit nehmen, eine Feindschaft zu entwickeln. Dazu müsste ich mich ja erstmal mit einem anderen Menschen als mir selbst beschäftigen. Und darauf hat keiner mehr Lust. Deshalb stelle ich die Forderung: wir brauchen Feinde! Um dem politischen Schlagwort der Innovation ein wenig Nachdruck zu verleihen und den nötigen Ruck durch Deutschland zu schicken, sollte sich wirklich jeder einen Feind suchen.
Genau! Das werde ich jetzt auch tun. Ich gelobe hiermit feierlich, ich werde mir einen Feind anschaffen: Jörg aus der vierten Klasse. Der hat mir damals immer die Federtasche geklaut und mich nach der Schule mit Dreck beworfen. Ich werde ihn ausfindig machen, dann werde ich seine Vergangenheit ergründen. Ich werde seine Ziele in Erfahrung bringen und sie vereiteln. Ich werde jede wache Minute der Vernichtung meines Feindes widmen. Jawoll! Und wenn der Kerl nicht in zehn Jahren ein Heilmittel gegen Krebs erfunden hat, dann weiß ich auch nicht mehr weiter.
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